Dienstag, 23. Oktober 2012

Begegnung mit dem Neuseeländischen Film



Begegnung mit dem Neuseeländischen Film

CINEMA STORYTELLING FROM NEW ZEALAND

Gastartikel von Regina Nickelsen, Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache am Colón Language Center in Hamburg, auf NZDeutschland NZ in Germany
NZ in Germany - Begegnung mit dem Neuseeländischen Film

Im Filmteam Colon ist Regina mitverantwortlich für das Filmprojekt DaF: Deutsch als Fremdsprache – Deutsch als Filmsprache, das in Kooperation mit dem Metropolis-Kino Hamburg einmal monatlich einen deutschsprachigen Film für Sprachschüler und andere Interessierte präsentiert.


Neuseeland, das liegt etwa 19.000 Kilometer von Deutschland entfernt. Eine zu große Distanz, um einmal kurz vorbeizuschauen. Doch es gibt für die Menschen in beiden Ländern Möglichkeiten anderer Art, die Kultur des jeweils anderen Landes zu entdecken, beispielsweise über den Film. Vom 11. bis zum 18. November 2009 war Auckland anlässlich des zwanzigsten Jahrestages des Mauerfalls in Berlin Schauplatz des Deutschen Filmfestivals Neuseeland. Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse, dessen Gastland in diesem Jahr Neuseeland ist, fand/findet von Ende August bis Anfang Oktober in sechs deutschen Städten das New Zealand Film Festival unter dem Motto „Cinema Storytelling from New Zealand“ statt. Dank des Metropolis-Kinos, das vom 02. bis zum 05. September 2012 die acht von Maryanne Redpath zusammengestellten neuseeländischen Filme in sein Programm aufnahm, kamen auch wir Hamburger in den Genuss neuseeländischer Geschichten in Form von Ton und Bild. 

Filme von neuseeländischen Regisseuren sind erst in den 90er Jahren ins Blickfeld eines weltweiten Publikums gelangt, wobei sich viele dieser Filme keiner neuseeländischen Thematik annahmen (wie beispielsweise einige Filme des bekanntesten neuseeländischen Regisseurs Peter Jackson). „Cinema Storytelling from New Zealand“ bietet den Cineasten in Deutschland nun die Möglichkeit, Neuseeland jenseits des Auenlandes und Mordor zu erkunden. Und, das ist ja keineswegs eine Selbstverständlichkeit, alle Filme werden im Original mit deutschen Untertiteln gezeigt, wodurch die Authentizität der Filme gewahrt bleibt, eventuelle Verständnisprobleme aber ausgeschlossen werden. Um es vorwegzunehmen: Es ist ein tolles Festival, das interessante Einblicke ins Land der Kiwis bietet und mit seinen sechs Spielfilmen und zwei Kurzfilmen die vielschichtige Kinolandschaft Neuseelands abbildet.

Wie ein roter Faden ziehen sich die Themen „Flucht“ und „Suche“ durch die für diese Tournee ausgewählten Filme, Flucht aus dem allzu monotonen oder einengenden Leben in der Familie, in der Kleinstadt  oder aber die Flucht vor dem schmerzenden Prozess der Selbsterkenntnis und vor der Realität des (eigenen) Lebens: Der Junge in BOY, der sich in die Verehrung Michael Jacksons und seines (keineswegs perfekten) Vaters flüchtet;  die beiden Teenager in HEAVENLY CREATURES, die sich eine Fantasiewelt aufbauen, um der Langeweile ihres Alltags zu entkommen; der verzweifelte Versuch der jungen Janet Frame, die später zu einer der bedeutendsten Schriftstellerinnen Neuseelands wurde, im biografischen Film THE ANGEL AT MY TABLE, durch das Schreiben und auch die vermeintliche Krankheit der Realität zu entfliehen; der Journalist Paul Prior in Brad McGanns großartigem Vermächtnis IN MY FATHER`S DEN, der sich dem düsteren Familiengeheimnis entzieht, indem er seine Heimat verlässt und als Kriegsjournalist überall dorthin fährt, wo die Tragödien noch größer sein mögen als die seiner eigenen Familie; die maorischen Soldaten, die im Kurzfilm TAMA TU (ein kleines Meisterwerk) mit Späßen für eine kurze Zeit ihren nächsten Kriegseinsatz verdrängen; die Ehefrau in ONCE WERE WARRIORS, der erst spät bewusst wird, dass sie die Ehe mit ihrem gewalttätigen Mann nicht länger aufrecht erhalten kann; und nicht zuletzt  das Mädchen Pai, das als WHALE RIDER eine längst vergessene Mystik der Maori beschwört.

Es sind ergreifende und spannende, poetische und  raue, dramatische, aber auch humorvolle Geschichten, die das Neuseeländische Kino zu erzählen hat, ungeschliffene Darstellungen unterschiedlicher Menschen auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft und in der Familie und sich selbst sowie Beschreibungen des Wandels der Lebenswelt Neuseelands. Und es sind Bilder erzeugt durch das klare pazifische Licht, das der Landschaft mit ihren Fjorden, ihren Stränden, ihren Seen, ihren schneebedeckten Bergen und grünen Weiden eine ganz besondere Schönheit verleiht, die in diesen Filmen jedoch oft genug im Widerspruch zu den tragischen Lebensumständen der Protagonisten steht. Dieses Festival macht Appetit auf viel mehr Filmproduktionen aus dem Land der Kiwis und auch auf dessen Literatur. Schön, dass auch Letztere in Deutschland durch Neuseelands Gastauftritt auf der Frankfurter Buchmesse einen Aufschwung erfahren dürfte.

Übrigens werden auch Sprachinteressierte, wie ich als Sprachlehrerin, in den verschiedenen Filmen des Cinema Storytelling from New Zealand dank der Originalfassungen  auf ihre Kosten kommen. Wer genau hinhört, wird eine Variation des britischen Englisch mit einer besonderen Melodik und verschiedenen anders klingenden Lauten bemerken. Als Norddeutsche ist mir die Tendenz, Vokale in die Länge zu ziehen, durchaus angenehm aufgefallen.

Ich möchte mich bei der Kuratorin des NEW ZEALAND FILM FESTVALS Maryanne Redpath, bei Julia Fidel, die die komplette Tournee von “Cinema Storytelling from New Zealand” durch Deutschland organisiert hat, mit den Filmen durch Deutschland reist und auch hier in Hamburg Rede und Antwort stand, für die Ausrichtung dieses kleinen, aber sehr feinen Filmfestivals sowie beim Metropolis-Kino, das uns Hamburgern das Kiwi-Kino bescherte, ganz herzlich bedanken.  Ich hatte bisher leider niemals die Gelegenheit nach Neuseeland zu reisen, aber ich freue mich, dass ich diesem Land, seinen Menschen, seiner Geschichte und seiner kulturellen Vielfalt ein wenig näher kommen konnte. Das Neuseeländische Kino ist äußerst lebendig und facettenreich und es hat größere weltweite Aufmerksamkeit verdient. Und auch wenn es dann doch die größeren neuseeländischen (jedoch ausgezeichneten) Filmproduktionen sind, die der Filminteressierte hier in Deutschland erleben kann, weitere Filmfestivals mit neuseeländischen Produktionen in Deutschland/Hamburg werden hoffentlich folgen. Persönlich würde ich mich auch über die Möglichkeit freuen, das Independent-Kino Neuseelands und neuseeländische Dokumentarfilme für mich entdecken zu können. Aber das kann ja noch werden.