Für
mich war die Berlinale bedauerlicherweise schon am Dienstag (15.2.) vorbei. Ich
gönne mir nur immer vier Tage (oder mute mir diese zu), aber vielleicht sollte
ich das mal auf sechs Tage strecken. Denn dieses Mal war das alles richtig
entspannt, meine Termine lagen zeitlich zumeist recht weit auseinander, sodass
es keinen Zeitstress gab. War richtig gemütlich.
Mein
klarer Favorit unter (leider) nur acht Filmen: A QUIET PASSION (GB/Belgien 2016) von Terence Davies. Ich mag seine Arbeit ohnehin (seine dokumentarische
filmische Symphonie OF TIME AND THE CITY ist einer der wundervollsten Filme,
die ich je gesehen habe). Und A QUIET
PASSION, ach ja, ich liebe diesen Film. Großartig gespielt (nicht nur
Cynthia Nixon in der Rolle der US-amerikanischen Dichterin Emily Dickinson),
schön gefilmt, aufgebaut wie ein Gedicht in verschiedenen Strophen, toll
erzählt – 10 von 10! Emily Dickinson hat wundervolle Gedichte geschrieben,
durch diesen Film bin ich der Person Emily Dickinson näher gekommen und schätze
ihre Arbeit jetzt noch mehr.
„A Quiet Passion ist nicht einfach
berührend und bewegend, sondern selbst tief berührt und bewegt. Von einer Frau,
die das Leben begehrt und zugleich fürchtet, die es sich auf existenzielle
Weise „zu Herzen nimmt“. Und das auch nicht ändern kann. Selbst als sie längst
weiß, wohin das führen wird.“ Till Kadritzke, critic.de
'Hope' is the thing with feathers—
That perches in the soul—
And sings the tune without the words—
And never stops—at all—
And sweetest—in the Gale—is heard—
And sore must be the storm—
That could abash the little Bird
That kept so many warm—
I've heard it in the chillest land—
And on the strangest Sea—
Yet, never, in Extremity,
It asked a crumb—of Me.
Emily Dickinson
A QUIET PASSION lief nicht im
Wettbewerb, aber ich konnte auch drei Wettbewerbsfilme sehen:
FUOCOAMMARE (Italien/Frankreich 2015) von Gianfranco Rosi, eine starke Dokumentation über
die Bewohner und die Flüchtlinge auf der italienischen Insel Lampedusa, der
recht hoch gehandelt wird, was die Vergabe der Bären angeht, und der beim
zweiten Screening (ohne Anwesenheit der Filmemacher) im Friedrichstadt Palast
sehr viel Beifall des Publikums erhielt.
BORIS SANS BÉATRICE (Kanada 2016) von Denis Côté. Zwar faszinieren mich Côtés Dokumentationen
BESTIAIRE und QUE TA JOIE DEMEURE erheblich mehr, doch auch dieser Spielfilm über
den reichen und arroganten Boris, dessen Gewissen sich meldet, das er auf Dauer
nicht unterdrücken kann, ist durchaus sehenswert und stellt die richtigen
Fragen. Auch wenn die Veränderung, die Boris widerfährt, ein wenig
unrealistisch wirkt.
SOY NERO (D/F/Mex
2016) von Rafi Pitts. Weltpremiere im Rahmen des Berlinale Wettbewerbs, im
Berlinale Palast gesehen. Es geht um den jungen Mexikaner Nero, der
US-amerikanischer Staatsbürger werden möchte und dieses schließlich nur
erreichen kann, wenn er Soldat für die US-Army wird. Pitts lässt viel aus und
hängt drei Episoden lose aneinander. Vielleicht leidet darunter die
Dramaturgie, jedenfalls ließ mich der Film seltsam kalt. Fast langweilig.
Schade bei dem Thema.
INDIGNATION (USA 2016), Regiedebüt
des Produzenten und Drehbuchautors James Schamus nach einem Roman von Philip
Roth. Konventionell erzählt, aber mit einigen herausragenden Szenen, vor allem
dem Gespräch des jungen Protagonisten Marcus mit dem Dekan des Colleges (Tracy
Letts – klasse!), das fast fünfzehn Minuten dauert.
Die aber haben es in sich. Insgesamt ein sehr guter Film, der mir wirklich
gefallen hat!
INVENTION (Kanada/Großbritannien
2015) von Mark Lewis. Faszinierende Reise durch Stadtlandschaften (Toronto, Paris und Sao Paulo) ohne Ton (lediglich ein
Einsatz von Musik zu Beginn und am Ende). Tolle Bilder und ein verblüffendes
Ende, zu sehen auf der Riesenleinwand des Cinestar IMAX. Mich hat dieser Film
sehr beeindruckt.
ELIXIR (Russland
2016), den ich auf der riesigen Leinwand des
Cinestar IMAX ansehen konnte und über den der Regisseur Daniil Zinchenko (mit
dunkler Sonnenbrille, weil er nach eigener Aussage nicht so viele Leute ansehen
könne) selbst sagte, das sei die Zukunft des Kinos. Es ist ein Film, bei dem
viele der Besucher nach kurzer Zeit den fast komplett gefüllten Saal verließen
und den sich sicherlich fast alle Menschen, die ich persönlich kenne, niemals
freiwillig ansehen würden. Ich habe durchgehalten (der Film ist auch nicht
allzu lang) und lasse mich auch gern immer wieder auf alle möglichen filmischen
Experimente ein, denn interessant ist das schon und es gibt eine Menge Bilder
in diesem Film, die im Kopf bleiben, auch wenn sich mir die Aussage des Films nicht
so ganz erschließen wollte. Aber nur mit Filmen dieser Art wird weder die
Berlinale noch das Kino überleben. Dazu bedarf es dann wohl doch anderer Filme.
Man wird die Mehrheit der Kinobesucher nicht zur Begeisterung für
experimentelle Filme wie ELIXIR
erziehen. Ich denke, man muss es auch nicht, denn Kino hat auch etwas mit
Träumen und Flucht aus dem Alltag zu tun, mit purer Unterhaltung und ist nicht
nur intellektueller Genuss. Auch wenn ein wenig von Letzterem nicht schaden
kann ….
COSMOS (Frankreich
2015), filmische Farce des kürzlich verstorbenen polnischen Filmemachers
Andrzej Żuławski, gesehen im Rahmen der WOCHE DER KRITIK BERLIN. Bewusst künstlich mit expressionistischem Schauspiel, gefilmt in
sinnlichen Farben.
Für
meinen Geschmack, der gern durch Filme unterschiedlichster Art bedient wird,
scheint es eine sehr gute Berlinale 2016 (gewesen) zu sein. Kino ist für mich
in erster Linie ein visuelles Erlebnis, womit ich Filmen, die eher für den
Fernseher produziert wurden (bei den deutschen Produktionen ist das ja leider
häufiger so) nicht prinzipiell aus dem Wege gehe, aber sie müssen dann schon
eine interessante Geschichte erzählen und sich nicht nur auf die manchmal doch
eher kleinen Probleme der Nachbarn von nebenan beziehen. Und wenn doch, dann
könnte man vielleicht mal große Bilder wagen, die der Kinoleinwand gerecht
werden. Das, fürchte ich, ist zumindest einigen der deutschen Beiträge bei der
Berlinale eher nicht gelungen. Ich muss mich da jedoch darauf verlassen, was
ich von Filmkritikern beispielsweise über die Sektion Perspektive Deutsches Kino gelesen
habe, denn ich habe, durchaus bewusst, auf Filme in dieser Sektion verzichtet.
Für unsere Filmreihe DaF schien mir schon im Vorfeld nichts dabei zu sein. Da
habe ich dann lieber A QUIET PASSION
geschaut.
Unter
den Filmen, die ich sehr gern gesehen hätte, aber leider nicht einbauen konnte,
ist dann mit Philip Scheffners HAVARIE (Deutschland 2016) wenigstens ein deutscher Beitrag dabei.
Weitere
Werke, denen ich einen Kinostart wünsche (auch um diese dann selbst ansehen zu
können), habe ich im Folgenden aufgeführt. Die Links führen zu den jeweiligen
Einträgen auf der Webseite der Berlinale.
HOMO SAPIENS von Nikolaus Geyrhalter (Österreich 2016). Den will ich unbedingt sehen!
Ich
vermute, es würden mir noch eine Menge mehr einfallen ….
Lob
für den großen Fleckenteppich Berlinale gab’s auch von Lukas Foerster auf
Perlentaucher. Für meinen Geschmack hat er recht. Wenn‘ s nur nicht so schwierig wäre, von
Hamburg aus an Tickets für die Filmvorstellungen zu kommen ….
Zum
Schluss empfehle ich einen Blick in den BERLINALE-KRITIKERSPIEGEL
von critic.de und Perlentaucher:
"Wenn
ein Mensch in seinen Gefühlen von der Realität beleidigt wird, will er, dass
neben den Tatsachen seine Träume auch ein Recht haben. Es ist etwas Schönes,
wenn ich eine Erfahrung, die mich quält und die ich im Augenblick für
unveränderbar halte, verlasse und in eine andere Erfahrung eintauche. Das
passiert, wenn wir träumen oder wenn wir ins Kino gehen. Oft haben wir dann
beim Wiedereintritt in die Wirklichkeit die Lösung für ein scheinbar unlösbares
Problem. Wir haben sie im Traum gefunden." Alexander Kluge