Sonntag, 6. Mai 2018

FLIEDER (SYRINGEN) – Zwei Gedichte


Der Flieder blüht wieder und wir grüßen ihn mit diesen schönen Gedichten des österreichischen Dramatikers, Lyrikers, Kulturkritikers und Pazifisten Karl Kraus, das er im Jahr 1919 ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges schrieb, und des deutschen Schriftstellers und Kleinbauern Christian Wagners, der sich das Dichten autodidaktisch beibrachte. 


Karl Kraus war von Wagners SYRINGEN sehr angetan und kam zu dem Schluss, es werde in deutscher Sprache nicht viele Wunder von der Art der dritten und der letzten Strophe des Gedichtes geben. 


Flieder (von Karl Kraus)

Nun weiß ich noch, 's ist Frühling wieder.
Ich sah es nicht vor so viel Nacht
und lange hatt' ich's nicht gedacht.
Nun merk' ich erst, schon blüht der Flieder.

Wie fand ich das Geheimnis wieder?
Man hatte mich darum gebracht.
Was hat die Welt aus uns gemacht!
Ich dreh' mich um, da blüht der Flieder.

Und danke Gott, er schuf mich wieder,
indem er wiederschuf die Pracht.
Sie anzuschauen aufgewacht,
so bleib' ich stehn. Noch blüht der Flieder.


Syringen (von Christian Wagner)

Fast überirdisch dünkt mich euer Grüßen,
Syringen ihr, mit eurem Duft dem süßen.

Nach Geisterweise weiß ich ihn zu werten:
Er ist ein Duftgesang mir von Verklärten.

Gott, wie ich doch in dieser blauen Kühle
Der Blumenwolke hier mich wohlig fühle!

Süß heimlich ahnend, was hinein verwoben,
Wie fühl ich mich so frei, so stolz gehoben!

Bin ich es selbst, des einstig Erdenwesen
Nun auch einmal zu solchem Glanz genesen?

Sind’s meine Lieben, die, ach längst begraben,
In diesen Düften Fühlung mit mir haben?


Beim Projekt Gutenberg kann man sich mit Karl Kraus und seinem Werk beschäftigen.

Christian Wagner kommt hier bei Gedichte xbib umfassend zu Ehren.