Dienstag, 19. September 2017

Ein Rückblick auf das erneut wundervolle Internationale Filmfest Oldenburg



Dieses Filmfestival ist mehr als einen Besuch wert und lädt mit seiner angenehm sympathischen und gewinnenden Atmosphäre zur Wiederholungstat ein. Wer einmal dabei war, der möchte eigentlich immer wiederkehren. Dabei habe ich bisher immer die als legendär beschriebenen Partys verpasst ….

Das Internationale Filmfest Oldenburg steht für ambitioniertes und risikofreudiges Independent-Kino jenseits von Blockbuster- und Mainstream-Produktionen, weshalb es auch den Beinamen „deutsches Sundance“ erhielt, dem es alle Ehre macht mit Weltpremieren und auch internationalen Premieren. Mit insgesamt über 16.000 Zuschauern in den Festivalkinos, der EWE-Arena, dem Oldenburgischen Staatstheater und in den weltweit einzigartigen JVA-Vorführungen, wo Gäste und Insassen gemeinsam Kino erleben können, fand das Filmfestival auch in diesem Jahr regen Zuspruch.


Die 24. Ausgabe des Festivals eröffnete am 13.9. mit der Weltpremiere von Kubilay Sarikayas und Sedat Kirtans Erstlingsfilm FAMILIYE (D 2017), der von über 1500 Zuschauern in der ausverkauften EWE Arena begeistert gefeiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt wusste natürlich noch keiner der Besucher, dass er den späteren Gewinner des Hauptpreises, des German Independence Award, gesehen hatte (dieser Preis beruht auf dem Votum der Zuschauer und wird aus zehn nominierten Filmen ermittelt). Vielleicht hat es der eine oder andere dann doch schon geahnt oder zumindest erhofft. Bei der Preisverleihung wurden die beiden Filmemacher jedenfalls erneut stürmisch gefeiert.


Eine weitere gefeierte Premiere war Santiago Rizzos QUEST (USA 2017), in dem der diesjährige Tribute-Ehrengast Lou Diamond Phillips eine tragende Rolle spielt. Der jugendliche Hauptdarsteller Gregory Kasyan wurde für seine Rolle mit dem Seymour Cassel Award für den besten männlichen Darsteller belohnt. Für ihn nahm bei der Abschlussgala der Regisseur Santiago Rizzo den Preis entgegen. Rizzo hat in QUEST seine eigene Lebensgeschichte packend und authentisch verfilmt.

Der Seymour Cassel Award für die beste Darstellerin ging an Lindsay Burdge für ihre Darstellung in Nathan Silvers THIRST STREET (F/USA 2017).


Das Advisory Board ehrte zudem den Film BLIND UND HÄSSLICH (D 2017) von Tom Lass mit einer Special Mention und lobte dabei besonders die „starke Performance des Ensembles“. Einige Besucher unserer Filmreihe DaF haben möglicherweise Tom Lass‘ PAPA GOLD im METROPOLIS Kino Hamburg sehen können, den wir im Oktober 2013 gezeigt haben.

Die Kurzfilmjury, bestehend aus der Produzentin Martina Valentina Baumgartner, dem Schauspieler Nic Romm und dem Regisseur Benjamin Teske, vergab den German Independence Award für den Besten Kurzfilm an Thierry Besselings und Loic Tansons SUR LE FIL (Luxenburg 2017). Da ich den Film bei den Sunday Shorts (neben weiteren starken Kurzfilmen) ansehen konnte, kann ich bestätigen, dass es eine sehr gute Wahl ist. 



Eine lobende Erwähnung fand die Kurzfilmjury zudem für Philipp Andonies VAND (Schweiz 2016). Ein Kurzfilm, der mit einer Lauflänge von nur etwa 60 Sekunden seinem Genre alle Ehre macht. Für die Geschichte eines Fischers, der auf einem See zur Ruhe und Besinnung kommen kann und sich dort seiner Probleme entledigt, erhielt Andonie bei der Preisverleihung während der Closing Night Gala von der Jury eine zu seinem Film passende Belohnung (siehe Foto unten).  


Die diesjährige Retrospektive des Filmfest Oldenburg galt erstmalig einem Filmproduzenten, nämlich Edward R. Pressman, der für 50 Jahre Filmschaffen aus Hollywood steht (u.a. BADLANDS, WALL STREET, AMERICAN PSYCHO). Wie auch dem zweiten Ehrengast, Lou Diamond Phillips, wurde auch  Edward R. Pressman bei der Filmfest-Gala des Festivals im Oldenburger Staatstheater der German Independence Honorary Award verliehen.

Für großes Aufsehen sorgte auch ein deutscher Schauspieler: Moritz Bleibtreu, Ko-Produzent des Films FAMILIYE, enthüllte im Rahmen des Festivals den 11. Stern auf dem OLB-Walk of Fame

Ich persönlich habe erneut beim Filmfest Oldenburg sehr starke Independent-Filme entdecken können, von denen ich mir eigentlich auch noch viel mehr in unseren Hamburger Kinos wünschen würde. Außerordentlich gut gefallen haben mir:

·         Karl R. Hearnes TOUCHED (Kanada 2017), ein sehr intensives Drama mit einem beeindruckenden Hauptdarsteller (Hugh Thompson), das irgendwo zwischen Crime, Drama und Mystery angesiedelt ist


 ·         Simon Rumleys CROWHURST (GB 2017) über den unerfahrenen Segler Donald Crowhurst, der im Jahr 1968 aufgrund finanzieller Probleme die erste alleinige Nonstop-Umsegelung der Welt riskieren will, denn es winkt eine Prämie in Höhe von 5000 Pfund. Luis Bunuels Surrealismus lässt in diesem eindringlichen Film grüßen. 

·         MIDNIGHTERS (USA 2017) vom Regisseur der Serie THE WALKING DEAD, Julius Ramsay. Ein harter Thriller, der sich immer tiefer in eine Spirale der Gewalt dreht und die Abgründe menschlicher Gier und Boshaftigkeit offenlegt.

 
·         IN THE FLESH (Thailand 2017) von Kong Pahurak über ein von Krieg zerrüttetes Land, in dem die Menschen sich an strenge Regeln halten müssen und dem sie nicht entfliehen können. Doch die 17jährige Daryn versucht es dennoch – mit schlimmen Konsequenzen. Der Film ist Kong Pahuraks außerordentlich starkes, größtenteils in Schwarzweiß gedrehtes, Debüt. Im Q&A gab er an, dass er seine Abschlussarbeit über Ingmar Bergman geschrieben habe.

 
·         Kurzfilm DIE BESONDEREN FÄHIGKEITEN DES HERRN MAHLER (D 2017) von Paul Philipp. Der Film spielt in der DDR des Jahres 1987 und André M. Hennicke versucht als Sonderermittler der Volkspolizei auf seine besondere Art den Fall eines verschwundenen Jungen aufzuklären.

·         Kurzfilm HOLD ON (Niederlande 2017) von Charlotte Scott-Wilson. Eine junge Cellistin kämpft mit Selbstzweifeln und versucht auf verschiedene Weise ihre Unsicherheit und Panik während der Konzerte des Orchesters abzulegen.

·         Die beeindruckende Darstellung einer möglichen Zukunft der Kunst (in diesem Fall des Films), die nicht mehr von Menschen erschaffen wird, sondern von einer KI, die perfekte Filme auf Basis von Zuschauerreaktionen errechnet und auswirft. Eine beängstigende Zukunft, nicht nur für die Protagonistin (eine Filmemacherin): Kurzfilm REAL ARTISTS (USA 2017, Cameo Wood).

·         Mein Favorit beim diesjährigen Filmfest Oldenburg (ich habe allerdings eine ganze Menge anderer Filme nicht sehen können, u.a. DIE NILE HILTON AFFÄRE), der zur herrlichen Mitternachtszeit gezeigt wurde: THE ENDLESS (USA 2017) von Justin Benson und Aaron Moorhead, die auch die Hauptrollen übernommen haben. Benson und Moorhead spielen zwei Brüder, die vor zehn Jahren nur knapp dem Massenselbstmord ihrer Sekte entkommen konnten. Als sie vor ihrem Haus eine Videokassette mit Aufnahmen der Mitglieder der Sekte finden, die offenbar noch am Leben sind, wollen sie der Sache auf den Grund gehen. Was sie dann erleben werden, wird über ihre Zukunft entscheiden. Ein ruhiger Horrorfilm, der erst allmählich den Wahnsinn im Tal der Sekte offenbart und der mich immer noch ein wenig beunruhigt. Eine Geschichte, wie sie auch von H. P. Lovecraft hätte ersonnen haben können.

 
Ich bin schon jetzt sehr gespannt auf die 25. Ausgabe des Internationalen Filmfest Oldenburg und bedanke mich beim gesamten Festival-Team für die tolle 24. mit einer starken Filmauswahl und dem zuvorkommenden Service!  
Regina Nickelsen (Filmteam Colón)

Fotos: Regina Nickelsen