Dienstag, 15. September 2020

Vorfreude auf das Filmfest Oldenburg 2020

 


Das Jahr 2020, so filmreif die Geschehnisse um die Corona-Pandemie auch sein mögen, wird auch in der gesamten Filmbranche, seien es Filmproduzenten, Filmverleiher, Filmemacher oder Filmtheater, deutliche Spuren hinterlassen. Es gilt, sich den neuen Gegebenheiten so weit wie möglich anzupassen und neue Wege zu beschreiten. Das mag man bedauern, doch es liegt in der Krise auch eine Chance.

Verschiedene Filmfestivals haben neue Pfade ausgelotet und waren oder sind nur virtuell zu besuchen. Die wohl sinnvollste Durchführung erscheint mir derzeit allerdings die in hybrider Form zu sein. Die Lichtspielhäuser sind wieder geöffnet und bieten selbstredend weiterhin den größten Filmgenuss. Da diese aber durch die Abstandsregeln derzeit nicht voll ausgelastet werden können, ist es naheliegend, einen Teil der Tickets für Plätze im virtuellen Kinosaal anzubieten. Auf diesem Wege lassen sich auch Filminteressierte erreichen, für die eine Anreise in den Festivalort nicht möglich ist.

Das Internationale Filmfest Oldenburg geht in diesem Jahr (16.9. – 20.9.) genau diesen Weg, mit der Besonderheit, dass die Streams im virtuellen Kinosaal zeitgleich mit der physischen Vorführung laufen (also live gestreamt werden), was das Festivalfeeling im heimischen Wohnzimmer erhöhen dürfte. Es werden vierzehn Weltpremieren sowie diverse Internationale Premieren geboten.

Das Programm 2020 ist wie immer einfach wundervoll. Es lässt sich kaum ein Film herausheben, ich „fürchte“, sie alle lohnen das Ansehen. Neben vielen Indie-Perlen gibt es auch ein paar „größere“ Filme zu entdecken oder wiederzuentdecken wie beispielsweise die 25th Anniversary Remastered Edition des französischen Meisterwerks LA HAINE (F 1995, Mathieu Kassovitz). 

Eröffnet wird das Filmfestival am 16.9. (19:00) mit der Welt-Premiere von PUPPY LOVE (CAN 2020, Michael Maxxis), der nach Angabe des Filmfests verrücktesten Liebesgeschichte des Kinojahres 2020. Film und Eröffnungsgala sind nur im virtuellen Kino verfügbar und offenbar schon alle „Plätze“ dafür verkauft. Vielleicht legen die Festivalmacher ja nochmals nach (oben auf den Filmtitel klicken, dann gelangt man zur Filmseite mit Link zum Ticketverkauf).

Still aus PUPPY LOVE

 
 

In Ben Epsteins Langfilm-Regiedebüt BUCK ALAMO geht der singende Cowboy Eli Cody (mit dem Künstlernamen Buck Alamo) auf eine letzte Reise voller Musik, Melancholie und Lebensfreude. Amerikas Traum liegt in diesem Film in seinen letzten Zügen (wie das Leben Eli Codys), aber der Traum lebt tief in den Herzen der Menschen weiter.    

Still aus BUCK ALAMO

Amerikanische Albträume werden in Miguel Silveiras Paranoia-Thriller
AMERICANTHIEF erschreckende Realität. Eine geheime Verschwörung soll die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 zum Scheitern bringen. 

Still aus AMERICAN THIEF

Meine beiden ganz besonderen Tipps für das diesjährige Filmfest Oldenburg betreffen jedoch keine Filme aus den USA, wenngleich ich ein großer Fan des US-amerikanischen Independent-Films bin. Ganz großes poetisches Kino erwarte ich bei UNTIMELY (Iran 2019, Pouya Eshtehardi) mit einem ungewöhnlichen Bild des ländlichen Iran und THE LONGWALK (LAO 2020, Mattie Do), ein filmisches Gedicht über die Unendlichkeit in einer Welt zwischen Schmerz und den Geistern der Vergangenheit.





Weil ja gerade in einem Jahr wie diesem nicht so häufig Freude aufkommt, sei hier noch THE JESUS ROLLS (USA 2020, John Turturro) empfohlen, ein Remake des französischen Films LES VALSEUSES von Bertrand Blier (1974) und gleichzeitig ein Spin-Off des Kultfilms THE BIG LEBOWSKI der Coen-Brüder (USA 1998). 

Still aus THE JESUS ROLLS

Die Retrospektive ist dem New-Hollywood-Regisseur William Friedkin gewidmet, gezeigt werden seine Filme KILLER JOE (USA 2011), SORCERER (USA 1977), THE EXORCIST, Director‘s Cut (USA 1973), THE FRENCH CONNECTION (USA 1971), THE PEOPLE VS. PAUL CRUMP (USA 1962) und TO LIVE AND DIE IN L.A. (USA 1985). Friedkin wird nicht vor Ort sein, aber per Live-Schaltung wird er dann doch irgendwie dabei sein, wie die Nordwest Zeitung berichtet. Diese Form der Anwesenheit ist im Jahr 2020 ja schon das neue „Normal“.  

Still aus KILLER JOE

Auch die Gala-Premieren mit Filmemachern als Gästen werden 2020 in neuer, aber äußerst sympathischer Form dargeboten, nämlich in privaten Wohnzimmern. Schön, wie mit dieser „Notlösung“ (die keine ist) die Verbundenheit des Festivals mit den Menschen und dem Ort Oldenburg unter Beweis gestellt wird. Der Rote Teppich wird dabei übrigens auch zum Einsatz kommen.  

Das komplette Programm des Internationalen Filmfest Oldenburg ist hier zu finden. Durch den Klick auf die einzelnen Filme gelangt man zu mehr Informationen, den Trailern und den Links zum Ticketkauf.

Ich freue mich auf dieses tolle Filmfestival und bin sehr dankbar dafür, dass in Deutschland (und dann auch noch in Norddeutschland) so ein feines Filmfest mit dem Schwerpunkt auf Independent-Produktionen existiert. 

(Regina Nickelsen, Filmteam Colón)

Fotos + Trailer: ©Filmfest Oldenburg

Titelbild: Still aus THE LONG WALK