Es
begann bei herrlichem September-Wetter am 27.9. und endete bei herrlichem
Oktober-Wetter am 6.10. und war ein tolles Filmfest.
Sechzehn
Filme konnte ich ansehen und es gab keine Ausfälle, sondern viel, viel großes Kino.
Meine neun
Favoriten
(beim Klick auf den Titel gelangt man zu mehr Infos und Trailern auf der
Webseite des Filmfest Hamburg):
LETO (Russland 2018), Kirill Serebrennikows musikalische
Reise durch die Rockszene St. Petersburgs in den 1980er Jahren. Ein
lebensbejahender, berührender, einfach schöner Film, den man einfach lieben
muss, wenn man Musik und insbesondere die Musik der 80er Jahre mag. Echtes
Highlight beim Filmfest Hamburg 2018, das im Kinosaal mit reichlich Beifall und
Jubel bedacht wurde. Toll!
BUENOS AIRES AL PACIFICO
(Argentinien 2018) von Mariano Donoso, ein wirklich sehr schönes filmisches
Essay mit herrlichen, poetischen Schwarzweißbildern.
ROMA (Mexiko 2018) von Alfonso Cuarón. Was für ein Genuss, diesen wundervoll in
Schwarzweiß fotografierten Film beim Filmfest Hamburg auf der größten Leinwand
Hamburgs im Saal 1 des CinemaxX Dammtor ansehen zu können.
"Was ist Kino?" fragte Katja
Nicodemus in der ZEIT, nachdem ROMA
in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen hatte und beantwortete ihre Frage
sogleich: „Diese Frage kann man nach den 75. Filmfestspielen von Venedig auch
mit einem einzigen Wort beantworten: Roma.
In aller Stille entwickelt der Gewinnerfilm des Regisseurs Alfonso Cuarón eine
erzählerische Wahrhaftigkeit – und hinterlässt einen berührenden Nachhall.“
Hoffen wir, dass ROMA, obgleich es eine Netflix-Produktion ist, dennoch den Weg auf
Kinoleinwände findet, denn das ist der richtige Platz für dieses
Meisterwerk.
THE IMAGE YOU MISSED (Irland 2018) von Dónal Foreman war meine erste Wahl nach Durchsicht des
Programms des Filmfest Hamburg und ich wurde keineswegs enttäuscht. Es ist ein
sehr persönlicher Essayfilm, in dem Foreman das Erbe seines Vaters, des
Dokumentarfilmers Arthur MacCaig, aber auch seine niemals wirklich vorhandene
Beziehung zu ihm, aufarbeitet. Doch der Film ist mehr als ein filmischer Dialog
zwischen Vater und Sohn, er erinnert auch an den Nordirlandkonflikt und die
IRA. Die Irish Times hat sich sehr
ausführlich mit THE IMAGE YOU MISSED
auseinandergesetzt.
FIRST MAN / AUFBRUCH ZUM MOND
(USA 2018, Deutschlandpremiere beim Filmfest Hamburg) von Damien Chazelle mit
Ryan Gosling als Neil Armstrong. Chazelle hat die Biografie „First Man: The Life of Neil A.
Armstrong“ von James R. Hansen verfilmt (die mir
nicht bekannt ist) und daher ist sein Film eher ein Biopic eines Mannes
geworden, der sich dem Tod seiner kleinen Tochter nicht stellen kann, aber den
eigenen Tod nicht fürchtet. Sehr spannend fand ich die recht realistische
Darstellung der aufreibenden Vorbereitungen der ersten Mondmission, die
diversen Testflüge in recht klapprig anmutenden (sehr engen) Raumschiffen mit
großen technischen Problemen, die mehreren Astronauten das Leben kosteten,
bevor Apollo 11 dann auf dem Mond landen und Neil Armstrong als erster Mensch
seinen Fuß auf unseren Trabanten setzen konnte. Der Wettlauf im Weltraum mit
der Sowjetunion zu Zeiten des Kalten Krieges kommt auch nicht zu kurz. Ein
wirklich empfehlenswerter Film, der auch visuell überzeugt. Und ich bin immer
noch fasziniert davon, wie es gelingen konnte, im Jahr 1969 mit einer für
heutige Verhältnisse vorsintflutartigen Technik auf dem Mond zu landen und vor
allem auch wieder von dort wegzukommen. FIRST
MAN kommt am 8.11.2018 in deutsche Kinos.
A LAND IMAGINED (Singapur
2018) von Yeo Siew Hua. In diesem Film verschwimmen Realität und Traum zwischen
starken Bildern eines dystopischen Singapurs. Yeo Siew Hua, der ein großer Fan
des Film Noir ist, wie er im Q&A kundtat, macht es den Zuschauern nicht
ganz leicht, das aber vermag durchaus zu faszinieren. Neben den
dokumentarischen Elementen der Bauarbeiten zur Landgewinnung des Stadtstaates
Singapur, spielt auch die Ausbeutung der Gastarbeiter eine gewichtige Rolle. A LAND IMAGINED erhielt beim
Filmfestival in Locarno kürzlich den Hauptpreis und ist für mich eine echte
Entdeckung. Ich bin sehr gespannt auf weitere Werke dieses jungen Regisseurs.
VILLE NEUVE (Kanada
2018). Sehr
schön animiert und poetisch in Wort und Bild von Félix Dufour-Laperrière, dessen
filmisches Essay TRANSATLANTIC mich 2015 beim Filmfest Hamburg
schon außerordentlich beeindruckt hat. Man mag sich die Frage stellen, warum
die Geschichte eines geschiedenen Paares, das in einem abgelegenen Haus am Meer
wieder zueinander findet, verwoben mit dem Referendum zur Unabhängigkeit Québecs
im Jahr 1995 in animierter Form erzählt werden muss. Sie muss es sicherlich
nicht, aber mich hat gerade diese künstlerische Form dazu gebracht, mir den
Film anzusehen. Und ich bereue es keineswegs.
WE THE ANIMALS (USA 2018) von Jeremiah
Zagar. Sehr nach meinem Geschmack. Zagar (eigentlich ein renommierter
Dokumentarfilmer) hat den poetischen Roman von Justin Torres gekonnt umgesetzt.
Es war das zweite Screening des Films beim Filmfest Hamburg im ausverkauften
Saal 2 des CinemaxX Dammtor. Der Applaus nach der Vorführung (ohne Gast) zeigt,
dass dieses berührende und bildlich toll komponierte Drama um drei Brüder in
schwierigen familiären Verhältnissen, das Erinnerungen an Terrence Malicks THE TREE OF LIFE aufkommen lässt, auch
anderen Besuchern gefallen hat.
GEGEN DEN STROM von Benedikt
Erlingsson, politische Komödie
vor der traumhaften Kulisse Islands mit der tollen Darstellerin Halldóra Geirhardsdóttir, die am Donnerstag das
Filmfest eröffnete. Ich hatte die Gelegenheit, den Film in seiner zweiten
Vorstellung im Passage Kino mit vielen weiteren begeisterten Besuchern anzusehen.
Halldóra Geirhardsdóttir spielt eine Umweltaktivistin, die mit gewagten und
spektakulären Aktionen ganz allein der lokalen
Aluminiumindustrie den Garaus machen möchte.
Da kann ich jetzt wirklich nur alle Filmliebhaber, die GEGEN DEN STROM beim
Filmfest Hamburg zweimal verpasst haben, beglückwünschen, dass Pandora Film Verleih ihn am 13.12.2018 in deutsche Kinos
bringen wird. Dann aber sollte man Versäumtes unbedingt nachholen. Das ist
wirklich ein eindrucksvoller Film. Auf ein informatives und amüsantes Q&A
mit Halldóra Geirhardsdóttir wird man allerdings
möglicherweise verzichten müssen.
GEGEN DEN
STROM wird übrigens für Island ins Oscar-Rennen gehen und wurde beim Filmfest
Hamburg mit dem Art
Cinema Award des Internationalen
Verbands der Filmkunsttheater (C.I.C.A.E.) ausgezeichnet.
.
Auch
schön bzw. spannend oder interessant:
MALILA: THE FAREWELL FLOWER
(Thailand 2017) von Anucha Boonyawatana im ziemlich gut gefüllten kleinen Kinosaal
des Abaton. Ein wirklich sehr schöner, fast meditativer Film, der für Thailand ins
Oscar-Rennen gehen wird.
THE IMAGE BOOK / LE LIVRE D‘IMAGE
(Schweiz 2018), Jean-Luc Godards fragmentarische Momentaufnahme der aktuellen
Weltsituation im ausverkauften kleinen Saal des Abaton. Godard ist immer noch
Godard, auch wenn seine filmischen Wege heutzutage in eine noch experimentelle
Richtung gehen. Wer aber die Kritiken nach der Premiere des filmischen Essays
im Mai in Cannes ein wenig verfolgt hat, wusste worauf er sich einließ und das
galt wohl für den Großteil der Besucher. Ein wilder Super Cut , ein Gedankenfluss
in Bildschnipseln und Worten, nicht wirklich zu fassen, sondern für
Interpretationen und reichlich Diskussionen offen. Bevor man sich an diese
Arbeit macht, kann man es vielleicht auch so zusammenfassen wie Indie Wire: “Have all the fun you want, because everybody’s doomed
anyway.“
HOTEL BY THE RIVER (Südkorea 2018), melancholisches Drama mit humorvollen Momenten und sehr
schönen Schwarzweißbildern von Hong
Sang Soo.
WE, THE DEAD (Malaysia 2017) von Edmund Yeo. Eine junge Frau
möchte nach Taiwan, aus Myanmar flüchtete Rohingya scheinen ihr eine gute
Gelegenheit zu bieten, als Schlepperin an das nötige Geld dafür zu kommen. Auch
wenn der Film das Leid der Rohingya teils vermitteln kann, ist es doch eher ein
Film über die Protagonistin Ling und ihr persönliches Leiden, wobei nicht klar
wird, warum sie unglücklich ist und unbedingt von Malaysia nach Taiwan
auswandern möchte. Die zweite Hälfte des Films dreht sich dann auch nur noch um
sie und den jungen Krankenpfleger, der sie auf ihrer Flucht vor den
Menschenhändlern, die sie als Verräterin betrachten, begleitet. Eingeschlossen
ist eine recht lange Rückblende, in der man diesen Krankenpfleger bei der
Arbeit sieht, wo er eine junge Patientin pflegt und von der er beim Treffen mit
Ling glaubt, es sei Ling gewesen. So ganz fügt sich diese Rückblende nicht ein
und somit bleiben die Teile des Filmes ein wenig unzusammenhängend.
THE PLUTO MOMENT (China 2018) von Zhang Ming über eine Reise von Filmemachern in die chinesische
Provinz. Einige sehr humorvolle Momente, allerdings fehlte mir etwas die Tiefe
in den Charakteren, die bei ihren Filmaufnahmen für einen Dokumentarfilm auf
ungeahnte Hindernisse stoßen und denen auf ihren recht beschwerlichen Wegen Zeit
für eine Selbstbesinnung bliebe. Sehr gelungen war jedoch die Szene, in der der
Arthouse-Regisseur Zhun sich von einem einfachen Landbewohner sagen lassen
muss, es gehe ihm offenbar gut, er sei fett und gut angezogen. Genau das hatte
dieser Regisseur dem Regisseur eines Blockbusters zuvor vorgeworfen. Erfreulich
auch, dass die wohl interessanteste Figur die Kamerafrau ist, die den Regisseur
zwar aufgrund seiner Arbeit als Regisseur bewundert, ihm menschlich jedoch
nicht allzu viele Qualitäten zuerkennt.
DOGMAN von Matteo Garrone – ein naiver Hundefriseur in
einer italienischen Gesellschaft, die von Armut, Gier nach Geld, Kriminalität
und Zerfall geprägt ist. Marcello Fonte spielt den Hundepfleger und
Teilzeit-Drogendealer, der die Hunde (auch wenn sie fast größer sind als er
selbst und recht böse erscheinen) sämtlich zur Ruhe bringen kann, wirklich
großartig, der Preis für den besten Darsteller in Cannes scheint schon sehr gerechtfertigt. Was Marcello bei den
Hunden erreicht, will ihm aber so ganz und gar nicht mit dem gewalttätigen
Kriminellen Simone gelingen, der den Ort tyrannisiert und dessen Freund
Marcello so gern wäre. Ein Film mit Männern und Hunden, Frauen tauchen in DOGMAN lediglich als Prostituierte und
Mütter auf. So gebührt dann die schönste Szene auch der Rettung eines Hundes
aus einem Gefrierfach.
Nicht
ganz überzeugend:
Dominga
Sotomayor Castillos TOO LATE TO DIE YOUNG (Chile 2018), für den sie in Locarno als erste Frau den Preis für die beste
Regie einstreichen konnte, hat mich persönlich etwas enttäuscht. Zugegeben ein
sehr schön fotografiertes Drama mit Bildern, die teils wie Gemälde anmuten, das
beeindruckt schon, die Story fand ich persönlich allerdings recht dünn. Mit
Coming-Of-Age-Filmen tue ich mich gelegentlich schwer, so auch mit der Story in
TOO LATE TO DIE YOUNG, dessen Titel
ich auch eher unpassend finde. Eine Gruppe von Außenseitern schafft sich im
Sommer 1990 weit entfernt vom städtischen Treiben am Fuße der Anden ein neues
Leben. Das klingt eigentlich sehr gut, zumal in chilenischen Zeiten kurz nach
dem Ende der Diktatur. Die Tat von Gegnern der Kommune (eine absichtlich
blockierte Wasserleitung) wird jedoch nicht näher verfolgt, stattdessen widmet
sich die Regisseurin und Drehbuchautorin dem jungen Mädchen Sofia, die bei
ihrem Vater in der Kommune lebt und gerne zu ihrer Mutter nach New York gehen
würde. Die Mutter scheint daran dummerweise kein Interesse zu haben und so
hängt sich Sofia an einen Mann, der mindestens doppelt so alt ist wie sie und
der nur sexuelles Interesse an ihr hat. Den Jungen Luca, der in sie verliebt
ist, weist sie hingegen zurück. Dominga Sotomayor Castillo ist selbst in einer
Kommune aufgewachsen und diese Geschichte ist möglicherweise ein bisschen auch
ihre Geschichte. Geschmäcker und Interessen sind verschieden, mich hat dieses
Werk nicht so ganz angesprochen.
Mir
ist bewusst, dass ich beim Filmfest Hamburg 2018 tolle Filme gesehen habe (mehr
als sechzehn konnten es neben der Berufstätigkeit leider kaum werden), mir ist
jedoch auch bewusst, dass ich diverse tolle Filme verpasst habe, beispielsweise
fast alle mit
Preisen ausgezeichneten Produktionen (alle Infos dazu gibt es hier),
nämlich:
SIBEL (Hamburger Produzentenpreis für
Europäische Kino-Koproduktionen)
AMIN (Sichtwechsel Filmpreis)
SOLSIDAN (Commerzbank-Publikumspreis im Rahmen der
Sektion »Eurovisuell«)
DREI GESICHTER (Iran 2018, der im Rahmen der Verleihung
des Douglas-Sirk-Preises an Jafar Panahi gezeigt wurde).
Auch auf TRAUTMANN habe ich zugunsten von LETO verzichten müssen, konnte allerdings
zumindest bei KLAPPE AUF
(Talk-Reihe des BFFS) Marcus H. Rosenmüller, Regisseur und Drehbuchautor des
Films, im Gespräch mit Sebastian Faust erleben.
Ebenfalls
durch das Setzen von Prioritäten verloren gegangen:
Und
viele mehr ….
Vielen Dank für das erneut wundervolle Filmfest Hamburg 2018 !
Ich freue mich auf die Ausgabe 2019, die vom 26.9. bis zum 5.10. steigen wird!