Wie heißt es so schön in einem Slogan des Festivals:
“Five Days to Blow Your Mind“. Für mich waren es in diesem Jahr beim Filmfest Oldenburg zwar
nur zwei Tage (im Jahr 2015 leider nur einer – nächste Jahr dann ….), aber diese
beiden Tage haben sich wirklich gelohnt.
Eine überaus sympathische und entspannte Festivalatmosphäre, eine starkes
Filmprogramm, fachkundiges Publikum, das die vielen Independent-Produktionen
mit einem Besuch und Wertschätzung belohnt, Anwesenheit sehr vieler Filmemacher
auch noch bei den zweiten Vorführungen ihrer Filme, eine gelungene
Organisation, Filmvorführungen zur tollen Mitternachtszeit (am Samstag um 23.45
Uhr), ….. Schön war’s in Oldenburg!
Auszeichnungen gab es natürlich auch:
Der Hauptpreis, der German Independence Award
für den besten Film in der Independent-Reihe des Filmfests ging an die
türkische Produktion THE APPRENTICE (Türkei 2016) von Emre Konuk. Ich habe diesen Film nicht ansehen können, meine
Hamburger Freunde von Shakedown Films bestätigten mir jedoch, der Preis sei
sehr verdient.
Der German Independence Award für den Besten Kurzfilm
ging ebenfalls an einen türkischen Film, THE CIRCLE von Ruken Tekes, der die Jury mit seiner „universellen Relevanz“
überzeugte und sie mit seiner „allegorischen, beispielhaften Kraft und seiner
poetischen Bildsprache extrem bewegte“.
Der Seymour Cassel Award für die besten Darsteller ging
in diesem Jahr an Noémie Merlant für ihre Hauptrolle in TWISTING FATE sowie an André
Hennicke in STRAWBERRY BUBBLEGUMS,
mit dem das Filmfest Oldenburg am 14.9. eröffnet worden war.
Zu den Gästen des diesjährigen Festivals gehörten u.a.
Nicolas Cage und Amanda Plummer und der französische Regisseur Christophe
Honoré, die in Tributes bzw. Letzterer in einer Retrospektive geehrt wurden.
Ich habe an zwei Tagen fünf Filme angesehen, auch wenn
der Zeitplan mindestens zwei weitere Veranstaltungen zugelassen hätte. So aber
blieb Zeit, auch mal entspannt ein Bierchen in der Hotelbar zu genießen. Hier
sind sie (beim Klick auf die Filmtitel gelangt man zu den Webseiten der Filme):
Alle fünf Filme haben mir wirklich sehr gut gefallen,
insbesondere Cameron Bruce Nelsons SOME BEASTS (USA 2015), ein visuell starker Film über einen Mann, der in einer
Hütte in der Abgeschiedenheit der Appalachen lebt und durch zwei Ereignisse aus
seinem ruhigen Leben in Einklang mit der Natur gerissen wird. Ein
beeindruckendes Debüt!
SHE'S ALLERGIC TO CATS, bewusst auf VHS-Qualität reduziertes
Low-Budget-Werk des in Hollywood lebenden Videokünstlers Michael
Reich mit Sonja Kinski (der Tochter Nastassja Kinskis) in der weiblichen
Hauptrolle. Es ist in vielen Teilen die Geschichte Reichs selbst, der früher in
Hollywood als Hundefrisör arbeitete. Im Film spielt sein Freund Mike Pinkney den
„dog groomer“, der von einer Karriere als Regisseur träumt. Sein erstes Projekt
soll eine Art Remake seines Lieblingsfilms CARRIE werden, in dem Katzen (!) die
Protagonisten sind. Er kämpft mit allerlei Unwägbarkeiten in seinem Leben, u.a.
mit Ratten in seinem heruntergekommenen Häuschen, die seine Bananen fressen.
Klingt nicht gut? Aber doch, es war ein amüsantes, experimentelles
Filmerlebnis, das Spaß gemacht hat und zeigt, dass man Filme auch mal ganz
anders machen könnte.
Vor Reichs Film konnte man den ebenfalls sehr gelungenen (aber
konventionell erzählten) Kurzfilm INDIGO
der kanadischen Regisseurin Jody Wilson entdecken, den sie ausschließlich mit
japanischen Darstellern und auch in japanischer Sprache gedreht hat.
STRAY BULLETS (USA 2016), erstaunlich
reifes Langfllmdebüt des erst 16jährigen Jack Fessenden, in dem er den
Waffenkult aufs Korn nimmt. Im Q&A nannte Fessenden Tarantinos RESERVOIR
DOGS als Inspiration für seinen Film. Larry Fessenden, Vater des Regisseurs,
übernahm die Kameraarbeit und spielte einen der Ganoven.
DAS LETZTE ABTEIL (D 2015), des in Oldenburg
áufgewachsenen Regisseurs Andreas Schaap. Das Heimspiel sorgte für einen vollen
Saal zur mitternächtlichen Zeit. Ja, und dieser Film arbeitet noch in mir.
Sechs Menschen in einem Zugwaggon, der irgendwo in den Alpen von einer Lawine
begraben wurde. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, denn die Luft wird langsam
knapp und die Rettungskräfte lassen auf sich warten. Vordergründig
gibt es Elemente aus Horror- und Katastrophenfilmen, doch
letztendlich geht es in dem Film um eine Mutter, die nach einem
Selbstmordversuch seit vielen Jahren im Koma liegt, und ihre Tochter, die vor
der Entscheidung steht, Sterbehilfe zu leisten und sich auch der Schuld der
Mutter zu stellen, die vor ihrem Suizidversuch den Tod zweier junger Menschen
zu verantworten hatte. Es führt nur ein Weg raus aus dem letzten Abteil.
THE NOONDAY WITCH (Tschechien 2016), Regie Jiri Sádek. Psychothriller
mit Horrorelementen nach dem tschechischen Gedicht über eine Mittagshexe, die
sich Kinder holt. Auch hier trügt der Schein ein wenig, denn im Mittelpunkt des
Films steht doch eher die Überforderung einer alleinerziehenden Mutter, die
ihren Mann durch Selbstmord verloren hat. Es geht um Verlust und die Sorge
einer Mutter um ihr Kind, eine Sorge, die sie den Realitätssinn allmählich
verlieren lässt. Wer ist tatsächlich die Mittagshexe im heißen tschechischen
Sommer, die das Kind aus dem Leben reißen könnte?
Ich bin gespannt, ob einer dieser Filme einen regulären Kinostart in Deutschland erleben wird. Vertrauen tue ich darauf nicht, denn das weltweite Filmangebot ist doch einfach zu groß, um auch nur einen Bruchteil dieser Filme in deutschen Kinos erwarten zu können. Perlen wie diese wird man häufig nur auf Filmfestivals wie beispielsweise dem tollen Filmfest Oldenburg erleben und entdecken können. Das ist bedauerlich, aber umso mehr ein Grund, im nächsten September wieder nach Oldenburg zu fahren. Freue mich schon darauf!