Auch das Filmfest Hamburg 2016 bot
wieder eine tolle Filmauswahl mit vielen Deutschland-, aber auch Europa- und
Weltpremieren. Es war erneut ein sehr schönes Filmfest für mich (meine Kollegin
Regine aus unserem Team hat es aus Urlaubsgründen jedoch verpassen müssen). Ich
habe mir jedoch nur Filme im Metropolis, Abaton, Passage und CinemaxX Dammtor
angesehen, da die beiden anderen Festivalkinos, das B-Movie und das Studio
Kino, nicht so schnell von den oben erwähnten vier Veranstaltungskinos zu
erreichen sind und die Zeiten zwischen den einzelnen Vorführungen einfach zu
kurz sind, um sich einen zweiten Film am Abend ansehen zu können. Das ist sehr
schade, denn aus diesem Grund nehme ich einige Filme vorab gar nicht in mein
persönliches Programm auf.
Vermisst habe ich die Vergabe des Douglas-Sirk-Preises
(oder habe ich ihn nur verpasst?). Die Vorführungen, die ich besucht habe,
waren jedoch fast alle sehr gut besucht, Ausnahmen waren allerdings
ausgerechnet Vorführungen von Filmen, die mir besonders gut gefallen haben (wie
EXIL und DARK SKULL). Es ist jedoch toll, dass das Filmfest auch Außenseiter
wie diese jedes Jahr wieder in sein Programm aufnimmt, denn sonst gäbe es wohl
kaum die Möglichkeit, diese Perlen zu entdecken.
Ein Lob auch dafür, dass es dem Filmfest immer wieder
gelingt, so viele Gäste zu präsentieren, in diesem Jahr waren es u.a. Ewan
McGregor, Jennifer Connelly, Olivier Assayas, Andrea Arnold, Tim Sutton, Maria
Dragus, Marie Noelle, Karolina Gruszka, Lars Eidinger, Mirjam Unger, Ralitza
Petrova, Kiro Russo, Florian Eichinger, Jessica Schwarz und M.X. Oberg (u.v.m.).
Bis zum siebten Festivaltag gab es bei den von mir besuchten Veranstaltungen
Gäste, was für mich den Wert eines Festivals ausmacht und von „normalen“
Kinogängern, die Filmfestivals scheuen, mehr gewürdigt werden sollte.
Und ein herzliches Danke auch an die Präsentatoren der
Filme, die auf unterschiedliche Weise die Filme einführen bzw. die Gäste
befragen. Besonders gefallen haben mir die informativen Ansagen von Jens
Geiger, der für die Sektion ASIA EXPRESS zuständig ist.
Folgende Filme habe ich beim Filmfest Hamburg gesehen und
so haben sie mir gefallen:
Sehr gut und beindruckend:
EXIL
(Kambodscha/Frankreich 2016, Regie: Rithy Panh)
Rithy Panh ist ein sehr poetischer Essay-Film gelungen,
mit dem er die Aufarbeitung der Schreckensherrschaft der Roten Khmer in seiner
Heimat Kambodscha fortsetzt. Ein Film, der über seine Stimmung wirkt, aber auch
viel zu erzählen hat. Das hat mir unglaublich gut gefallen.
GODLESS
(Bulgarien 2016, Regie: Ralitza Petrova)
Ein beeindruckender Debütfilm der bulgarischen
Regisseurin Ralitza Petrova, der beim Filmfestival Locarno den Goldenen
Leoparden erhielt. Ruhig erzähltes, atmosphärisches Kino, das seine Kraft und
Stimmung aus seinen Bildern und der Präsenz einer großartigen Hauptdarstellerin
schöpft (und nicht aus Aktionen und endlosen Dialogen), ein Film, der nicht
alles auserzählt, sondern dem Zuschauer durch Andeutungen Raum zum eigenen
Erleben gibt.
GRADUATION
(Rumänien 2016, Regie: Cristian Mungiu)
Ein sehr starker Film, in dem es um das alltägliche
System der Korruption im heutigen Rumänien geht. Ein eigentlich ehrbarer Arzt
gibt seine moralischen Prinzipien auf, um seiner Tochter zu einem Studium in
England zu verhelfen. Ruhig erzählt mit tollen Darstellern. GRADUATION erhielt
in Hamburg den HAMBURG FILM CRITIC AWARD. Das halte ich für sehr verdient.
Gut und wirklich sehenswert:
THE LONG NIGHT OF FRANCISCO SANCTIS (Argentinien 2016, Regie: Andrea
Testa und Francisco Márquez).
Der Film lief in der Sektion VETO!, in der die
Friedrich-Ebert-Stiftung politische Filme kuratiert, und spielt im Jahr 1977 zu
Zeiten der Regierung der Militärjunta. Die beiden jungen Filmemacher verstehen
ihn jedoch auch als Blick auf die heutigen politischen Zeiten in Argentinien.
DARK
SKULL (Bolivien 2016, Regie: Kiro Russo)
Es ist eine fiktive Geschichte, die Darsteller sind
jedoch alle Laien und indigene Bewohner und Minenarbeiter aus der
bolivianischen Bergbaustadt Huanuni. Russo gab im Q&A an, er habe ganz
bewusst einen Arbeiterfilm drehen wollen, denn Filme, die in der
Arbeiterschicht spielten, gebe es international ja kaum noch (ein Statement,
das Ken Loach sicherlich unterschreiben würde). Ein visuell sehr
beeindruckender Film, der zudem toll montiert wurde.
GIMME
DANGER (USA 2016, Regie: Jim Jarmusch)
Jim Jarmusch‘ Doku über The Stooges / Iggy Pop. Der Film
ist elektrisierend, amüsant und kurzweilig, obgleich dramaturgisch
konventionell geraten. Aber natürlich ein Muss für Fans der Stooges.
ELLE
(Frankreich 2016, Regie Paul Verhoeven)
Paul Verhoevens Thriller über Sex, Sadismus und
Perversion in seiner Deutschlandpremiere. Das eine oder andere Mal (ziemlich
häufig jedenfalls) glaubt man seinen Ohren nicht zu trauen, wenn Michèle herablassend
ihre Mitarbeiter, Freunde und Familienmitglieder erniedrigt. Verstörend, wie sie
auf die Vergewaltigung, die ihr widerfährt, reagiert, verstörend, wie sie mit
anderen Menschen, die ihr nahestehen, umgeht. Ganz und gar unberechenbar,
dieser Film, dazu erschreckend unterhaltsam und auch witzig. Stoff für
Diskussionen. Dass dieser provokante Film Frankreichs Oscar-Kandidat für den
Besten Fremdsprachigen Film ist und damit François
Ozons FRANTZ aus dem Rennen geworfen hat, überrascht mich
allerdings schon.
MAIKÄFER
FLIEG (Österreich 2015, Regie: Mirjam Unger)
Deutschland-Premiere des Films MAIKÄFER FLIEG der Wiener
Regisseurin Mirjam Unger. Es ist die Verfilmung des autobiografischen Romans
der bekannten Autorin Christine Nöstlinger, ihre Erinnerungen an das
Kriegsende, wie sie es als Neunjährige erlebt hat. Mit den Augen dieses Kindes (ganz
toll gespielt von Zita Gaier) sehen wir als Zuschauer, wie sich russische
Soldaten in der Villa am Stadtrand von Wien niederlassen, in der die Familie
Christines untergekommen ist. Und dieses Mädchen begegnet den russischen
Soldaten vorurteilsfrei und schließt sogar Freundschaft mit dem Koch Cohn.
Wirklich gelungen (und die russischen Soldaten sind keineswegs die Bösen).
PERSONAL
SHOPPER (Frankreich 2016, Regie Olivier Assayas).
Der Film war unzweifelhaft einer der Publikumsrenner beim
Filmfest, was sicherlich nicht nur an der tollen Hauptdarstellerin Kristen
Stewart gelegen hat. Spannende und teils sogar unheimliche Geschichte über eine
junge Frau, die von ihrem verstorbenen Zwillingsbruder nicht loskommt und
Kontakt zu ihm aufnehmen will, aber wohl vor allem auf der Suche nach sich
selbst ist.
MARIE
CURIE (Deutschland/Frankreich/Polen/Belgien, Regie: Marie
Noelle)
Ebenfalls ein verdienter Publikumserfolg beim Filmfest.
Schön gefilmtes Biopic über die Wissenschaftlerin Marie Sklodowska Curie,
beeindruckend dargestellt von Karolina Gruszka. Es geht mehr um die Frau Marie
Curie, ihre Gefühle und ihren Kampf, als Frau in der Wissenschaft anerkannt zu
werden.
THE WOMAN WHO LEFT (Philippinen 2016, Regie Lav Diaz)
Mein erster Lav-Diaz-Film, dessen Filme ja in der Regel
so lang sind, dass sie nur bei Festivals zum Einsatz kommen. Da muss man schon
ziemlich hartgesotten sein, um seine ruhig erzählten Filme mit endlos langen
Einstellungen teils scheinbar unbedeutender Banalitäten durchzustehen. Aber THE
WOMAN WHO LEFT bringt es nur auf 228 Minuten und ist auch aus diesem Grund zu „ertragen“.
Eine tolle Hauptdarstellerin (Charo Santos-Concio), und eine gute Geschichte,
in der die Protagonistin, die 30 Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen hat,
nach ihrer Entlassung geduldig auf eine Möglichkeit zur Rache wartet. Der
Zuschauer wartet geduldig mit, wird aber mit schönen Schwarz-Weiß-Bildern und
interessanten Charakteren dafür entschädigt. Es kam absolut keine Langeweile auf.
TWO LOVERS AND A BEAR (Kanada 2016, Regie: Kim Nguyen)
TWO LOVERS AND A BEAR (Kanada 2016, Regie: Kim Nguyen)
Kurzfristig habe ich mir am Sonntag, dem 9.10. (da gab es
im CinemaxX Dammtor einige Festival-Highlights als Zugabe), noch Kim Nguyens
TWO LOVERS AND A BEAR angesehen. Roman (Dane DeHaan) und Lucy (Tatiana Maslany),
die beide auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit sind, treffen sich in einer
kleinen Stadt am Nordpol. Zwei junge Menschen, die sich an diesem verlassenen
Ort finden und hoffen, sich von ihren Geistern befreien zu können. Spannend,
man erwartet immer wieder, dass etwas Schreckliches oder Gruseliges passieren
wird. Und das Ende kommt dann doch recht unerwartet. Der Kinosaal war an diesem Zugabe-Tag übrigens fast ausverkauft. Da hoffe ich auf Wiederholung im nächsten Jahr.
Okay:
ZAZY (D
2016, Regie: M. X. Oberg)
ZAZY habe ich als Europa-Premiere beim Filmfest gesehen.
Das junge Paar, das die wohlhabende Ehefrau eines erfolgreichen TV-Entertainers
erpresst, ging mir jedoch etwas auf die Nerven. Immer wieder setzten sie noch
eine Forderung drauf, und das obgleich die Erpresste es mit ihrer jungen
Erpresserin wirklich gut meinte. Ein wenig zu kalt und (hoffentlich) auch
unrealistisch.
EL TOPO (Mexiko 1970, Regie: Alejandro Jodorowsky)
EL TOPO entstand zur Zeit der Hippie-Bewegung und enthält
viel Blut, extreme Gewalt und auch jede Menge Sex, verherrlicht all das
allerdings gar nicht, sondern zeigt in überspitzter Form das Elend der Welt auf.
Ich hatte immer mal vor, diesen Film zu sehen, und war jetzt doch überrascht,
dass das Ende dann doch das Gute im Menschen (in einigen Menschen) aufzeigt.
Insgesamt jedoch ein wenig abstoßend. EL TOPO wurde in der Sektion MEXIKO
DELUXE gezeigt. Die Vorstellung im Abaton Kino war übrigens ziemlich gut
besucht.
DARK NIGHT (USA 2016, Regie: Tim Sutton).
Der filmische Versuch, dem Amoklauf in einem Kino in
Aurora (Colorado), dem im Juli 2012 zwölf Menschen zum Opfer fielen,
intellektuell und künstlerisch beizukommen, hat mich nicht vollends überzeugen
können. Etwas kalt dargebracht, was mir den Zugang verwehrte.
Gar nicht meins:
DIE HÄNDE MEINER MUTTER (D 2016, Regie: Florian
Eichinger)
Ein erwachsener Mann (schon beeindruckend dargestellt von
Andreas Döhler) erinnert sich an den Missbrauch in seiner Kindheit (durch seine
Mutter). Für mich ein quälender und eine Spur zu nüchterner deutscher
Problemfilm. Dass der Protagonist sich in den Erinnerungen als Erwachsenen
sieht, den die Mutter missbraucht, und nicht als Kind, hat mich sogar
abgestoßen. Das Thema ist aller Ehre wert, aber dieser Film ist so gar nicht
meins.