Begegnung mit dem Neuseeländischen Film
CINEMA STORYTELLING FROM NEW ZEALAND
Gastartikel von Regina Nickelsen, Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache am Colón Language Center in Hamburg, auf NZDeutschland NZ in GermanyNZ in Germany - Begegnung mit dem Neuseeländischen Film
Im Filmteam Colon ist Regina mitverantwortlich für das Filmprojekt DaF: Deutsch als Fremdsprache – Deutsch als Filmsprache, das in Kooperation mit dem Metropolis-Kino Hamburg einmal monatlich einen deutschsprachigen Film für Sprachschüler und andere Interessierte präsentiert.
Neuseeland, das liegt etwa 19.000 Kilometer von Deutschland
entfernt. Eine zu große Distanz, um einmal kurz vorbeizuschauen. Doch es gibt
für die Menschen in beiden Ländern Möglichkeiten anderer Art, die Kultur des
jeweils anderen Landes zu entdecken, beispielsweise über den Film. Vom 11. bis
zum 18. November 2009 war Auckland anlässlich des zwanzigsten Jahrestages des
Mauerfalls in Berlin Schauplatz des Deutschen Filmfestivals Neuseeland. Im
Rahmen der Frankfurter Buchmesse, dessen Gastland in diesem Jahr Neuseeland
ist, fand/findet von Ende August bis Anfang Oktober in sechs deutschen Städten
das New Zealand Film Festival unter dem Motto „Cinema Storytelling from New
Zealand“ statt. Dank des Metropolis-Kinos, das vom 02. bis zum 05. September
2012 die acht von Maryanne Redpath zusammengestellten neuseeländischen Filme in
sein Programm aufnahm, kamen auch wir Hamburger in den Genuss neuseeländischer
Geschichten in Form von Ton und Bild.
Filme
von neuseeländischen Regisseuren sind erst in den 90er Jahren ins Blickfeld
eines weltweiten Publikums gelangt, wobei sich viele dieser Filme keiner
neuseeländischen Thematik annahmen (wie beispielsweise einige Filme des
bekanntesten neuseeländischen Regisseurs Peter Jackson). „Cinema Storytelling
from New Zealand“ bietet den Cineasten in Deutschland nun die Möglichkeit,
Neuseeland jenseits des Auenlandes und Mordor zu erkunden. Und, das ist ja
keineswegs eine Selbstverständlichkeit, alle Filme werden im Original mit
deutschen Untertiteln gezeigt, wodurch die Authentizität der Filme gewahrt
bleibt, eventuelle Verständnisprobleme aber ausgeschlossen werden. Um es
vorwegzunehmen: Es ist ein tolles Festival, das interessante Einblicke ins Land
der Kiwis bietet und mit seinen sechs Spielfilmen und zwei Kurzfilmen die
vielschichtige Kinolandschaft Neuseelands abbildet.
Wie
ein roter Faden ziehen sich die Themen „Flucht“ und „Suche“ durch die für diese
Tournee ausgewählten Filme, Flucht aus dem allzu monotonen oder einengenden
Leben in der Familie, in der Kleinstadt oder aber die Flucht vor dem
schmerzenden Prozess der Selbsterkenntnis und vor der Realität des (eigenen)
Lebens: Der Junge in BOY, der sich in die Verehrung Michael Jacksons und seines
(keineswegs perfekten) Vaters flüchtet; die beiden Teenager in HEAVENLY
CREATURES, die sich eine Fantasiewelt aufbauen, um der Langeweile ihres Alltags
zu entkommen; der verzweifelte Versuch der jungen Janet Frame, die später zu
einer der bedeutendsten Schriftstellerinnen Neuseelands wurde, im biografischen
Film THE ANGEL AT MY TABLE, durch das Schreiben und auch die vermeintliche
Krankheit der Realität zu entfliehen; der Journalist Paul Prior in Brad McGanns
großartigem Vermächtnis IN MY FATHER`S DEN, der sich dem düsteren
Familiengeheimnis entzieht, indem er seine Heimat verlässt und als
Kriegsjournalist überall dorthin fährt, wo die Tragödien noch größer sein mögen
als die seiner eigenen Familie; die maorischen Soldaten, die im Kurzfilm TAMA
TU (ein kleines Meisterwerk) mit Späßen für eine kurze Zeit ihren nächsten
Kriegseinsatz verdrängen; die Ehefrau in ONCE WERE WARRIORS, der erst spät
bewusst wird, dass sie die Ehe mit ihrem gewalttätigen Mann nicht länger
aufrecht erhalten kann; und nicht zuletzt das Mädchen Pai, das als WHALE
RIDER eine längst vergessene Mystik der Maori beschwört.
Es
sind ergreifende und spannende, poetische und raue, dramatische, aber
auch humorvolle Geschichten, die das Neuseeländische Kino zu erzählen hat,
ungeschliffene Darstellungen unterschiedlicher Menschen auf der
Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft und in der Familie und sich selbst
sowie Beschreibungen des Wandels der Lebenswelt Neuseelands. Und es sind Bilder
erzeugt durch das klare pazifische Licht, das der Landschaft mit ihren Fjorden,
ihren Stränden, ihren Seen, ihren schneebedeckten Bergen und grünen Weiden eine
ganz besondere Schönheit verleiht, die in diesen Filmen jedoch oft genug im
Widerspruch zu den tragischen Lebensumständen der Protagonisten steht. Dieses
Festival macht Appetit auf viel mehr Filmproduktionen aus dem Land der Kiwis
und auch auf dessen Literatur. Schön, dass auch Letztere in Deutschland durch
Neuseelands Gastauftritt auf der Frankfurter Buchmesse einen Aufschwung
erfahren dürfte.
Übrigens
werden auch Sprachinteressierte, wie ich als Sprachlehrerin, in den
verschiedenen Filmen des Cinema Storytelling from New Zealand dank der
Originalfassungen auf ihre Kosten kommen. Wer genau hinhört, wird eine
Variation des britischen Englisch mit einer besonderen Melodik und
verschiedenen anders klingenden Lauten bemerken. Als Norddeutsche ist mir die
Tendenz, Vokale in die Länge zu ziehen, durchaus angenehm aufgefallen.
Ich
möchte mich bei der Kuratorin des NEW ZEALAND FILM FESTVALS Maryanne Redpath,
bei Julia Fidel, die die komplette Tournee von “Cinema Storytelling from New
Zealand” durch Deutschland organisiert hat, mit den Filmen durch Deutschland
reist und auch hier in Hamburg Rede und Antwort stand, für die Ausrichtung
dieses kleinen, aber sehr feinen Filmfestivals sowie beim Metropolis-Kino, das
uns Hamburgern das Kiwi-Kino bescherte, ganz herzlich bedanken. Ich hatte
bisher leider niemals die Gelegenheit nach Neuseeland zu reisen, aber ich freue
mich, dass ich diesem Land, seinen Menschen, seiner Geschichte und seiner
kulturellen Vielfalt ein wenig näher kommen konnte. Das Neuseeländische Kino
ist äußerst lebendig und facettenreich und es hat größere weltweite
Aufmerksamkeit verdient. Und auch wenn es dann doch die größeren
neuseeländischen (jedoch ausgezeichneten) Filmproduktionen sind, die der
Filminteressierte hier in Deutschland erleben kann, weitere Filmfestivals mit neuseeländischen
Produktionen in Deutschland/Hamburg werden hoffentlich folgen. Persönlich würde
ich mich auch über die Möglichkeit freuen, das Independent-Kino Neuseelands und
neuseeländische Dokumentarfilme für mich entdecken zu können. Aber das kann ja noch
werden.