Interview mit
der Filmvorführerin Susanne Kaschdailis
Susanne Kaschdailis (genannt Suse) ist 32 Jahre alt und seit 2008 Filmvorführerin im Metropolis-Kino in Hamburg. Sie ist in Mecklenburg-Vorpommern geboren und aufgewachsen, ihre Eltern stammen jedoch aus Litauen. Suses Muttersprache ist Deutsch, Litauisch spricht sie eigenen Angaben zufolge nicht sehr gut, versteht die Muttersprache ihrer Eltern allerdings einwandfrei und kann auch litauische Texte lesen.
Suse hat Psychologie, Soziologie und Medienwissenschaften studiert und übt neben ihrer Tätigkeit im Metropolis-Kino noch mehrere andere Tätigkeiten auf freiberuflicher Basis aus, so z.B. als Lehrerin in einer Ganztagsschule, in der sie nachmittags Kunst- und andere Projekte leitet. Aktuell arbeitet sie dort auch an einem Filmprojekt, bei dem die Schüler Filme mit ihren Handy-Kameras drehen werden.
Daneben trägt Suse auch bei Veranstaltungen Kurzgeschichten und Gedichte von z.B. Kurt Tucholsky, aber auch eigene Arbeiten, vor. Auch als Straßenkünstlerin ist sie gelegentlich tätig und macht zudem Puppentheater, bei dem angefangen bei den Geschichten bis hin zu den Puppen und ihren Kleidern alles in Eigenarbeit entstanden ist. Dieses wirklich tolle Puppentheater kann man übrigens buchen. Bei Interesse wendet euch gern an folgende E-Mail-Adresse: susannekaschdailis@googlemail.com
Filmteam Colón:
Suse, du bist Filmvorführerin u.a. im Metropolis-Kino. Wie bist du zu diesem Beruf gekommen und hast du den Beruf gelernt? Kann man diesen Beruf überhaupt lernen und wenn ja, wo lernt man das Filmvorführen?
Suse:
Filmevorführer kann man heutzutage leider nicht mehr lernen. Das ist ein ausgestorbener Beruf. Es ist kein Lehrberuf mehr, bis in die 80er Jahre konnte man das noch lernen. Da konnte man noch einen staatlich anerkannten Vorführschein machen und musste eine Vorführprüfung ablegen. Heute ist es eher so, dass der Filmvorführer angelernt wird, d.h. er geht in ein Kino und lernt dort, je nach technischem Vermögen, maximal ein halbes Jahr, was allerdings schon ziemlich lang ist, die Kunst des Vorführens. Ich selber habe das vor ca. neun Jahren in Lübeck gelernt. Da habe ich im 2,50-Kino angefangen, das zur Cinestar-Kette gehörte und ein kleines Alternativkino war. Der Eintritt hat tatsächlich nur 2,50 € gekostet. Dort hatte ich eine Chefin und die wollte unbedingt eine Frau im Vorführraum haben und sie fragte mich, ob ich das nicht lernen wolle. Ich war damals Anfang zwanzig, also noch blutjung. Und da ich immer offen für neue Sachen bin, habe ich zugesagt und wurde dort dann an den Beruf der Filmvorführerin herangeführt. Ich habe etwas über drei Monate gelernt und habe danach dann selbständig gearbeitet.
Filmteam Colón:
Ist Filmvorführerin so etwas wie dein Traumjob?
Suse:
Traumjob? Die Frage nach dem Traumjob ist wohl generell schwierig zu beantworten. Als ich zwölf war, wollte ich Tierärztin werden, und jetzt bin ich Filmvorführerin. Ich habe eigentlich keinen richtigen Traumjob, ich mache alles sehr gerne. Mich interessieren unheimlich viele Dinge und wie die Henne zum Ei kommt, so bin ich halt zum Filmvorführen gekommen, es ist reiner Zufall gewesen. Aber über diesen Zufall hinaus hat sich eine Passion bei mir entwickelt, sich mit dem Material auseinanderzusetzen, mit der Technik, mit den Maschinen, in dieser Zauberkammer zu sitzen und Filme vorzuführen. Und in diesem Sinne würde ich sagen, dass es eine Art Traumjob ist, weil er ganz viele meiner Fähigkeiten und Interessen anspricht.
Filmteam Colón:
Wie sieht denn so ein Arbeitstag beispielsweise im Metropolis-Kino für dich aus? Im Metropolis werden die meisten Filme ja nicht als DVD in einen Player geworfen und dann per Beamer an die Leinwand projiziert, sondern ihr verwendet zumeist 35mm-Filme. Nun stellt sich der Laie wohl oft vor, dass der Filmvorführer die Filmrolle auf die Spule setzt und fertig. Aber ein Film wird in mehreren Teilen geliefert. Wie viele Filmrollen sind es denn für einen 90minütigen Film und was ist die Aufgabe der Filmvorführerin, damit der Zuschauer den Film im Ganzen ohne Pausen sehen kann?
Suse:
Diese Frage ist relativ komplex und sie ist relativ komplex zu beantworten. Zum Ablauf: In der Regel fange ich um 16 Uhr im Metropolis-Kino an, um 17 Uhr soll ja der erste Film laufen. Dann schließe ich zunächst alles an, schalte die Hauptsicherung ein, damit die Geräte laufen und dann sehe ich nach, was für ein Film laufen soll, denn im Metropolis-Kino laufen ja täglich andere Filme. Wenn ich Glück habe, dann hat der Kollege vom Vortag den Film schon vorgeführt und ich muss den Film nur noch zurückspulen und einlegen, und wenn ich Pech habe, dann muss ich mir den ersten Karton für den ersten Film schnappen und ihn aufbauen. Während der erste Film läuft, bereite ich den zweiten Film des Abends vor und während der zweite Film läuft, bereite ich den dritten Film vor. Die Filme, die gelaufen sind, baue ich wieder ab und verpacke sie, damit sie am nächsten Tag wieder verschickt werden können.
Das Metropolis-Kino ist wegen seiner Vorführtechnik nicht irgendein Kino, es ist kein Multiplex-Kino, sondern es ist ein Archivkino. Wie unser alter Geschäftsführer Heiner Ross immer zu sagen pflegte: „Es ist eine Abspielstätte für die Kunstform Film.“ Das heißt, wir haben ein sehr ausgewähltes Programm und bekommen ganz viele Filme aus den Archiven, bundesweit, international.
Ein Archivfilm besteht in der Regel aus sechs Akten (Bobbys), bei einem 90minütigen Film bedeutet das, dass eine Rolle etwa 20 Minuten des Films umfasst. Ein kompletter 35mm Film hat in etwa eine Länge von 2000 Metern. Die Filme müssen sehr sorgsam behandelt werden und wir prüfen sie. Wir spulen sie einmal von dem Bobby auf eine Metallspule auf, die fasst ca. 500 Meter, und jeder Millimeter eines Films läuft durch meine Finger, genauer gesagt zwischen Zeigefinger und Daumen. Sobald ich merke, da ist eine kleine Unebenheit, halte ich den Umspuler an und schaue mir diese Unebenheit an. Da kann eine Klebestelle sein, da kann ein Riss in der Perforation sein, also irgendeine Form von Schaden, und diesen Schaden muss ich überprüfen. Man muss sich vorstellen, es laufen 24 Bilder pro Sekunde, 24 Bilder pro Sekunde braucht das menschliche Auge, um ein einziges Bild zusammenzusetzen. Diese Bilder sind getrennt durch Bildstriche und diese müssen exakt aneinander sein. Sind sie nicht exakt aneinander, habe ich einen Versatz, den man dann natürlich auf der Leinwand sieht. Also muss ich prüfen, ob das alles richtig ist. Ist das nicht der Fall, muss ich es reparieren. Die Perforation an beiden Seiten (die kleinen Löcher) muss in jedem Fall immer in Ordnung sein, denn an diesen Stellen wird der Film durch die Maschine geführt. Und wenn die Perforation kaputt ist, dann kann der Film hängen bleiben und geht in der Maschine kaputt.
Beim Metropolis-Kino arbeiten wir mit analoger Technik, 35mm, 16 mm, manchmal 8mm. Wir zeigen natürlich auch digitale Filme, aber der überwiegende Teil ist 35mm, was heutzutage nicht mehr handelsüblich ist.
In den Cineplexen wird digital vorgeführt, das Metropolis-Kino arbeitet jedoch, wie es schon seit 100 Jahren in der Kinotechnik üblich ist, mit zwei Projektoren, d.h. wir überblenden, was viele vielleicht aus dem Film FIGHTCLUB kennen, da in dem sie es „cigarette burns“ nennen. Es gibt oben rechts in der Ecke kleine Zeichen, die sind immer nur ganz kurz zu sehen. Aber wenn man im Kino darauf achtet, und auch im Fernsehen, kann man das bei alten Filmen manchmal sehen. Und wenn diese kleinen Zeichen auftauchen, dann weiß der Filmvorführer, dass er die zweite Maschine starten muss. Von diesen Überblendzeichen gibt es zwei Stück, am Ende jeder Rolle, jedes Aktes. Wenn das erste Zeichen kommt, starte ich meine Maschine, kommt das zweite Zeichen, dann mache ich die Bildklappe auf, und bei dem anderen Projektor, der zuerst gelaufen ist, schließt sich diese automatisch. Wenn ich gut überblende, bekommt der Zuschauer es nicht mit, wenn ich schlecht überblende, dann hat der Zuschauer ein bisschen schwarz dazwischen.
Filmteam Colón:
Siehst du dir die Filme, während du sie vorführst, bewusst an? Ist das überhaupt möglich von eurem Vorführraum aus, denn dort müsstest du wohl vor der Glasscheibe stehen? Nicht sehr komfortabel, würde ich sagen.
Suse:
Während man im Metropolis-Kino vorführt, guckt man sich die Filme nicht an. Das schafft man wegen der Arbeit einfach nicht. Man muss halt ständig irgendwelche Filme vorbereiten, die Filme wieder abbauen, dadurch, dass wir überblenden, muss man immer wieder neu einlegen, zurückspulen, und, und, und. Manchmal wenn ich wirklich sehr viel Lust auf einen Film habe, dann fange ich extra früher an, damit ich mehr Zeit habe, die Filme vorzubereiten und früher fertig bin, so dass ich während des Abspielens den Film, so gut es geht, mitgucken kann. Wenn ich aber einen Film unbedingt sehen will, dann gehe ich selber als Gast ins Metropolis, denn es ist einfach etwas anderes, wenn man im Saal sitzt und dieses Kinoerlebnis hat, anstatt hinten im Vorführraum neben diesen lauten, ratternden Maschinen zu hocken.
Filmteam Colón:
Gehst du in deiner Freizeit noch ins Kino?
Suse:
Ich gehe nicht wirklich oft ins Kino. Ich finde, dass das, was heutzutage an Filmen produziert wird und herauskommt, doof ist, anders kann ich das eigentlich gar nicht sagen. Eigentlich ist es erbärmlich. Zudem finde ich es unheimlich langweilig, wenn die Filme X Wochen laufen und immer wieder derselbe Film. Vor allem in Hamburg laufen in allen Kinos dieselben Filme. Den einzigen Unterschied macht vielleicht noch das Abaton, wo man die Filme im Original mit Untertiteln ansehen kann. Mich reizt die Kinolandschaft einfach nicht. Es gibt wenige Sachen, bei denen ich sage, das muss ich unbedingt sehen. Ich muss nicht noch einmal PLANET OF THE APES sehen, da leihe ich mir lieber die DVD des Films aus den 70ern aus. Wenn mich etwas wirklich interessiert, dann ist es wirklich meistens im Metropolis, denn das Metropolis hat einfach ein sehr abwechslungsreiches Programm. Bei uns laufen viele unterschiedliche Filme. Obwohl ich zugeben muss, dass ich mir auch den neuen Woody Allen Film angeguckt habe, den ich auch wirklich empfehlen kann, MIDNIGHT IN PARIS. Aber was im Cinemaxx Dammtor läuft, interessiert mich nicht. Dann einige wenige Filme, die im Zeise laufen, aber ich sehe mir sie nicht gern in der deutschen Synchronisation an, denn dafür gibt es deutsche Filme. Ich sehe Filme viel lieber in Originalsprache und mit Untertiteln.
Filmteam Colón:
Die meisten Filmvorführer werden abends arbeiten. Ihr habt also fast immer Spätschicht. Ist das schwierig für die Aufrechterhaltung des Freundeskreises und wirkt sich das auf das Familienleben aus?
Suse:
Mit dem Freundeskreis gibt es überhaupt keine Probleme. Der Freundeskreis findet das total super, und nutzt das für sich auch einigermaßen aus, dass ich da im Metropolis arbeite und sie kommen gerne vorbei, genau wie jemand, der in einer Kneipe arbeitet, dort Besuch von seinen Freunden bekommt. Familienleben und Partnerschaft, das macht schon eher mal ein Problem. Mein Partner arbeitet tagsüber, und ich bin dann eben abends weg, und dann sind die Zeiten, die man gemeinsam hat, doch eher wenig. Ich komme dann in der Regel gegen Mitternacht, um eins, manchmal später nach Hause, und dann schläft er schon. Und dann steht er morgens früh auf und ich schlafe noch. Da muss man aufpassen, dass man nicht aneinander vorbeilebt.
Filmteam Colón:
In jedem Beruf passieren Fehler. Was sind die Albtraumpannen für Filmvorführer?
Suse:
Der schlimmste Fehler, der einem Filmvorführer passieren kann und wohl der Albtraum für jeden Filmvorführer, zumindest wenn man so arbeitet, wie wir im Metropolis-Kino arbeiten, ist Akte zu vertauschen, beispielsweise dass man nach Akt 3 nicht Akt 4 zeigt, sondern Akt 6. Dadurch dass man halt nicht alle Filme kennt, weiß man nicht immer genau, ist das jetzt richtig so oder ist das jetzt falsch. Und dann sitzt man manchmal mit einem etwas mulmigen Gefühl da oben, und weiß nicht, ob das jetzt stimmt oder nicht. Das ist wohl ein Alptraumfehler, der jedem Filmvorführer schon mal passiert ist. Mir ist das auch schon passiert. Da kann man gelassen bleiben, kann aber auch panisch werden, je nach Naturell. Ich liege irgendwo dazwischen, zwischen Panik und cool bleiben.
In den großen Kinos, in denen noch 35mm gezeigt wird, ist wohl der Alptraum STEUERKOPFUMWICKLUNG. Dort laufen die Filme auf einem großen Teller, in der Mitte ist ein Steuerkopf, der den Film vom Teller wegleitet, in Richtung Projektor. Und diese Steuerköpfe sind halt unglaublich anfällig, und zwar dafür, dass sich der Film um sie herumwickelt. Es ist unglaublich nervig, dass dann wieder zu entwirren.
Ein anderer Alptraumfehler, bedingt dadurch, dass es sehr viel Material ist, ist dann gegeben, wenn einem der Film runterfällt. Dann hat man plötzlich 500 Meter Film, extrem dünnes Material, das sich auf dem Boden ungleichmäßig abwickelt – und das muss man jetzt wieder irgendwie aufwickeln. Das ist mir auch schon alles passiert. Man ist nie gefeit vor Fehlern, und Fehler gehören mit dazu, man lernt aus ihnen, wie in jeder Situation im Leben. Auch der Filmvorführer lernt aus den Fehlern, die er macht. Obwohl wir natürlich im Metropolis den Anspruch haben, keine Fehler zu machen. Aber so ist das nun mal, Fehler passieren.
Filmteam Colón:
Was liebst du an deinem Beruf am meisten?
Suse:
Für mich persönlich ist das Schönste an dem Beruf, dass ich da in einem Suse-Kosmos arbeite. Dadurch, dass ich allein im Vorführraum bin, bei gedimmten Licht, die Maschinen rattern so vor sich hin, ein bisschen gedämpfter Ton, der vom Saal durch die Lautsprecher kommt, und ich bastele dann vor mich hin, baue die Filme auf, baue die Filme ab, das ist schon fast eine Art Meditation. Und das ist das Schönste für mich.
Filmteam Colón:
Mit welchem Filmformat arbeitest du am liebsten? Es gibt Filme auf 8mm, 16mm, 35mm und 70mm und natürlich neuerdings auf DVD. Könntest du uns auch kurz die Unterschiede erklären?
Suse:
Das herkömmliche Filmmaterial muss man sich wie einen Film vom Fotoapparat vorstellen. Es ist ungefähr ein ähnliches Material, nur das da nicht das Negativ, sondern schon das Positiv darauf ist. Es ist 35mm breit, entsprechend gibt es dann 16 mm, was heute kaum noch vorgeführt wird, aber ein unglaublich schönes Material ist, dann gibt es noch 70 mm breite Filme und außerdem solche mit 8 mm Breite. Das sind die analogen Filmmateriale. Und da muss man auch wieder unterscheiden, ob es ein Stummfilm ist, ob er auf Polyester gedruckt ist, was bei den neuesten Modellen der Fall ist. Das ist eine Art Plastik, die können nicht mehr brennen. Früher gab es die Acetatkopien, die extrem vorsichtig behandelt werden mussten. Dieses Plastikmaterial brennt wie Zunder. Da gibt es auch noch Lehrfilme von früher, in denen ein kleiner Junge mit einer Filmrolle in die S-Bahn einsteigen will und vom Schaffner gefragt wird, ob er einen Film transportiere. Und als der Junge das bejaht, gibt ihm der Schaffner zu verstehen, dass er das im öffentlichen Raum nicht dürfe, da das Material des Films hoch entzündlich sei.
Dann gibt es zwischen den beiden Materialien Polyester und Acetat noch viele verschiedene Mischungen, und das nur für das analoge Filmmaterial. Beim digitalen Material gibt es natürlich bei der schnelllebigen Technik ständig etwas Neues. DVD kennen wohl die meisten, jetzt gibt es Blue Ray, davor gab es dann VHS, Digi Beta, das ist im Prinzip eine kleine Version der VHS mit einer höheren Auflösung. Dann gibt es Beta XP, ein Magnetband, auf dem Informationen sind, die abgelesen werden, aber viel größer als eine normale VHS. Dann gibt es Umatex, das ist ganz, ganz alt, das ist noch mal doppelt so groß wie eine Beta. Außerdem gibt es Mini-DV, das kennt man aus den frühen Videokameras. Das sind ganz kleine Videokassetten, die wir im Metropolis auch abspielen können. Und was immer häufiger vorkommt, ist, dass die Leute mit ihren Computern anrücken, die wir dann direkt an den Beamer anschließen. Dann gibt es Sachen, die uns auf Festplatten geliefert werden und die dann über einen bestimmten Server abgespielt werden. Bei den digitalen Materialien, und das ist wohl der Haken bei der Digitalisierung, ist es problematisch, dass man sich nicht auf ein Format festgelegt hat, sondern dass es eben ganz viele unterschiedliche gibt.
Ich selber bin für das analoge Material, nach wie vor, und nach Möglichkeit eine Polyesterkopie.
Filmteam Colón:
Als ich das erste Mal im Vorführraum des Metropolis-Kinos im Savoy am Steindamm war, war ich ziemlich überwältigt und fasziniert. Mittlerweile bin ich schon mehrfach dort gewesen, aber der Raum hat immer noch etwas Magisches. Das kannst du jetzt wahrscheinlich gar nicht verstehen, oder verspürst du auch immer noch so etwas wie Ehrfurcht vor der analogen Technik, den Filmrollen, den Filmprojektoren, die schon vor hundert Jahren die Bilder, die die Menschen so faszinieren können, zum Laufen brachten?
Suse:
Am Anfang hatte ich Ehrfurcht vor den Filmprojektoren, aber diese extreme Ehrfurcht ist nicht mehr da. Aber was immer noch vorhanden ist, ist die Freude, damit zu arbeiten. Wenn ich jetzt zum Beispiel einen Stummfilm habe, dann muss ich den Projektor umbauen, ich muss ihn aufschrauben, da ist eine Flügelblende drin, die muss ich rausnehmen und eine andere Flügelblende reinsetzen. Es ist ölig und staubig und man hat danach schmutzige Hände und ich komme mir vor wie ein Automechaniker, aber es ist irgendwie ein ziemlich gutes Gefühl. Und worüber ich mich immer noch freue, ist, wenn ich einen schönen alten Projektor sehe, wie z.B. im Abaton, die haben noch den FP, 59, FP für Filmprojektor. Wir im Metropolis arbeiten mit dem FP 20, der ein wenig moderner ist und Mitte der 60er Jahre gebaut worden ist. Der FP 59 ist Anfang der 50 er gebaut worden, das ist noch eine ordentliche Maschine, dagegen sind die FP 20 schon viel filigraner. Aber wenn ich vor einem solchen Gerät stehe oder auch im Filmmuseum in Berlin, in dem man sich auch alte Filmprojektoren ansehen kann, dann pocht mein kleines Vorführerherz auf 180 und freut sich tot.
Filmteam Colón:
Wie siehst du die Zukunft deines Berufs in Anbetracht des Digitalen Films, der ja zukünftig den analogen Film wohl komplett verdrängen wird? Die UCI-Kinowelt schätzt, dass bis Ende 2012 der letzte 35-Millimeter-Projektor zumindest aus den UCI-Kinos verschwunden sein wird. Der FREITAG titelte am 30.07.2011 in einem Artikel über die Zukunft eurer Branche im Hinblick auf die einsetzende Digitalisierung des Kinos „Spul mir das Lied vom Tod“.
Suse:
Der Beruf Filmvorführer ist ein aussterbender Beruf, das muss man ganz klar mit Ja beantworten. Zumindest in den kommerziellen Kinos findet die Digitalisierung statt, so führt das Passage Kino in Hamburg rein digital vor, da gibt es überhaupt keine 35mm Kopien mehr. Der klassische Filmvorführer, so wie ich das mache und meine Kollegen im Metropolis, der stirbt aus. Er wird sicher erhalten bleiben in solchen Kinos wie dem Metropolis, die halt noch Wert darauf legen, die alte Kunst des Vorführens beizubehalten. Das ist ziemlich traurig, weil ich den Beruf so gern mag. Vielleicht ist das der Lauf der Zeit, dass irgendwann die Kassiererin nur noch auf den Knopf drückt und dann fängt in Kino X der Film Y an, alles zur richtigen Zeit, mit der richtigen Werbung, mit den richtigen Trailern und es läuft alles einfach so ab. Der Filmvorführer an sich wird eine Rarität werden, eine Besonderheit in unserer Gesellschaft.
Filmteam Colón:
Viele Kinobetreiber beklagen, dass die Zahl der Kinobesucher rückläufig ist, weil die Leute sich Filme lieber zu Hause ansehen, was wir nun überhaupt nicht verstehen können. Aber Fakt ist, dass das Kino nicht nur mit dem Fernsehen konkurrieren muss, sondern zunehmend auch mit den DVDs, die man eben auch zu Hause anschaut, und dem Internet. Was ist deine Prognose für die Zukunft des Kinos?
Suse:
Es ist schwierig zu beantworten, ob es eine Zukunft für das Kino gibt. Ich glaube, es wird immer Kino geben, die Frage ist, in welcher Form. Das Kino, so wie es jetzt ist, wird sich nicht halten können. Da gibt es viele Aspekte, die daran schuld sind. Für mich liegt ein großer Teil der Schuld bei der Filmindustrie, weil sie Kino an sich nicht mehr interessant gestalten. Die Filme, die es heute gibt, sind wie der Döner an der Ecke, schnell zu kriegen und nach fünf Minuten vergessen. Ein Befriedigungsgefühl tritt einfach nicht mehr ein, was Essen und ein Film eigentlich leisten sollten. Da muss eine Wende kommen. Was Hollywood als größte Filmindustrie ja versucht, ist mehr in den Bereich Independent zu gehen, d.h. Independent-Filme zu machen wie z.B. LITTLE MISS SUNSHINE oder auch BABEL, HANGOVER, was übrigens ein super Film ist, wirklich gut. Diese Filme haben ganz andere Ansätze, und ich glaube, dass das wichtig ist, denn man lockt einfach mit einer romantischen Komödie die Leute nicht mehr hinter dem Ofen hervor, sondern man muss ihnen Inhalte bieten. Und ich glaube, dass es falsch ist, auf die Mainstream-Popkultur zu setzen, wenn das Kino weiter existieren will. Denn die orientiert sich mit der Windrichtung immer wieder neu, das ist wie in der Popmusik, vor 10 Jahren waren Boy Zone total hip, vor fünf Jahren war es Jennifer Lopez, und heute interessiert sich kein Mensch mehr für diese Musiker. Und genauso ist es mit den Filmen und vor allen Dingen mit den Darstellern. Das Kino muss mehr Inhalte bieten, und deswegen sind Kinos wie das Metropolis und das Abaton unglaublich wichtig für unsere Kinolandschaft, um zu zeigen, dass es anders geht. Vor allem aber ist das Internet eine große Konkurrenz für das Kino. Aber da muss sich der Konsument auch fragen, was er eigentlich will. Will er sich zu Hause auf seinem 17-Zoll-Monitor einen Film ansehen, ihn aber gar nicht wirklich erleben können, oder will er ins Kino gehen mit einer satten Surround-Anlage, mit einem perfekten Bild und dieses Erlebnis einfach haben, der Sitz vibriert von der Musik und der Körper nimmt es wirklich mit. Das kann man nicht zu Hause erleben. Zu Hause ist es nur Konsum, es ist nicht mehr das ganzheitliche Erlebnis, was Kino sein kann. Da sollte sich der Konsument genau überlegen, was er will. Aber das ist ein Phänomen unserer Zeit, wir sind eine reine Konsumgesellschaft. Wir kaufen und kaufen und kaufen und sind nie zufrieden. Und wir sehen uns Sachen an und sehen und sehen und sehen und sind nicht zufrieden. Warum sind wir nicht zufrieden? Weil wir nicht mehr bereit sind zu erleben, wirklich zu erleben. Wenn man gern ins Theater oder ins Konzert geht, dann hat man auch dieses ganzheitliche Erlebnis, und Kino kann das ebenfalls bieten – und bietet das.
Da spielen Dinge mit hinein, die Industrie, der Konsument. Ich weiß nicht, wer zu wem den Zugang kriegen muss, muss der Konsument den Zugang zum Kino bekommen oder muss das Kino den Zugang zum Konsumenten bekommen. Es ist schwierig zu beantworten, in welche Richtung es gehen muss. Über den reinen Konsum wird niemand zufrieden werden.
Filmteam Colón:
Die obligatorische Frage an jemanden, der/die etwas mit dem Medium Film zu tun hat: Was ist dein Lieblingsfilm?
Suse:
Eine Filmvorführerin danach zu fragen, was ihr Lieblingsfilm ist ein schlechter Witz. Ich habe etwa gefühlte drei Millionen Filme in meinem Leben gesehen und vorgeführt. Ich mag sehr gern den Film LITTLE BIG MAN mit Dustin Hoffman, das ist ein großartiger Film. Ich mag aber auch sehr gern DER MANN, DER ZU VIEL WUSSTE von 1934 von Alfred Hitchcock mit Peter Lorre, der ist wirklich unglaublich gut. Es gibt so viele Filme, die toll sind. Es ist eine gemeine Frage. Aber vielleicht kann ich doch noch einen Film empfehlen, wo ich gerade Peter Lorre genannt habe: M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER. Das ist ein unglaublich dichter Film, ganz wichtig für die Filmgeschichte, was die Aufnahmetechnik betrifft, und ein Peter Lorre, ein großartiger, leider sehr verkannter deutscher Schauspieler, der wohl die beste Leistung eines Schauspielers ever ablegt.
Filmteam Colón:
Wir zeigen einmal monatlich bei euch im Metropolis unsere Filmreihe DaF: Deutsch als Fremdsprache – Deutsch als Filmsprache, d.h. ausschließlich deutschsprachige Filme. Was hältst du vom deutschsprachigen Film? Und welche deutschsprachigen Filme kannst du den Besuchern unserer Reihe, die ja vornehmlich keine Deutschen, sondern Lerner der deutschen Sprache sind, empfehlen?
Suse:
Der Film M ist natürlich einer meiner persönlichen Lieblinge, wenn es um den deutschen Film geht. Beim neuen deutschen Film finde ich es schwierig, in den 90er Jahren hat der deutsche Film unglaublich nachgelassen, er versucht einfach zu sehr, sich an der internationalen Industrie zu orientieren, romantische Komödien etc., und die sind meist nicht wirklich gut. Es gab jetzt in neuerer Zeit ein paar Trendwenden, angefangen mit DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI, ein Film, den ich auch aus politischer Hinsicht einfach sehr empfehlen möchte, er ist auch immer noch unserem Zeitgeist entsprechend. Oder VINCENT WILL MEER, ein wirklich toller, neuer deutscher Film. Es gibt viele, viele schöne alte deutsche Filme. Ich kann mir schon vorstellen, dass junge Leute eine Aversion dagegen haben, sich mit Filmkunst an sich auseinanderzusetzen. Aber ich habe z.B. letztens den Film ES GESCHAH AM HELLLICHTEN TAG vorgeführt mit Heinz Rühmann und Gert Fröbe. Letzterer hat eine unglaubliche Leinwandpräsenz und der Film erfährt eine atmosphärische Dichte allein durch diesen Darsteller, obwohl man ihn eigentlich nicht sieht. Zudem beruht der Film auf einem Buch von Dürrenmatt, der einer meiner Lieblingsautoren ist. Gert Fröbe hat aufgrund seiner Darstellung in ES GESCHAH AM HELLLICHTEN TAG die wohl größte Rolle seines Lebens bekommen und zwar als Bösewicht in James Bond. Wenn man ihn sieht, er ist ja nicht Mensch, er ist eine Erscheinung zwischen Gut und Böse mit einem Gesichtsausdruck, bei dem man nicht weiß, ob er jetzt ein Guter oder ein Böser ist. Ein unglaublich toller Darsteller. Auch der Film DIE TOLLKÜHNEN HELDEN IN IHREN FLIEGENDEN KISTEN. Das ist zwar ein richtig schlechter Titel, aber ein wirklich toller deutscher Film, der unbedingt empfehlenswert ist.
Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich Fassbinder empfehle oder Schlingensief, das ist mir alles viel zu verkopft. Kino hat auch für mich den Anspruch, dass es unterhalten muss, muss berühren und muss viel leisten können. Ich verstehe Fassbinder ganz oft nicht und weiß nicht, was er mir sagen will. Das gleiche gilt für Schlingensief. Da frage ich mich, was will er mir eigentlich erzählen? Die Filme mit Gert Fröbe z.B. die schaffen es, mich zu berühren, denn Fröbe ist noch ein richtiger Schauspieler, er ist kein Star, sondern er spielt einfach.
Filmteam Colón:
Was sind deine Zukunftspläne?
Suse:
Ich und meine Zukunft? Ich werde glücklich und zufrieden und habe irgendwann einen Rosengarten.
Filmteam Colón:
Suse, wir sagen ganz herzlichen Dank für dieses außerordentlich interessante Interview und dafür, dass wir ein wenig hinter die Kulissen blicken durften. Wir haben eine Menge gelernt und vielleicht ist es dir ja gelungen, unseren Lesern das Erlebnis Kino und die Faszination dieses Mediums wieder ein wenig näher zu bringen. Und jeder, der dies gelesen hat, möge doch mal wieder ins Kino gehen und sich einfangen lassen von der tollen Atmosphäre, wenn das Licht ausgeht, sich der Vorhang öffnet und vielleicht sogar der Kinosessel vibriert, sich gefangen nehmen lassen von den schönen Geschichten, die in Bilderform nur das Kino so darbieten kann, die Chance nutzen, sich nach dem Film noch mit anderen Kinobesuchern und den Freunden über das Erlebte auszutauschen, den Film nicht einfach konsumieren, sondern wirken lassen und als das ansehen, was ein guter Film sein kann: Ein echtes Erlebnis!
Und dann werft doch einmal einen Blick nach oben, dort wo die Glasscheibe ist, denn dort steht hoffentlich noch jemand, der euch dieses Erlebnis beschert. Solange es noch Filmvorführer aus Fleisch und Blut gibt, sollten wir ihnen Beachtung schenken und nicht nur an sie denken und über sie fluchen, wenn mal etwas schief geht. Kino wird von Menschen für Menschen gemacht, und das ist ein schönes Gefühl, denn der kalten Technik des digitalen Kinos fehlt, seien wir ehrlich, das Herzblut.
Unser obiges Foto stammt aus dem Vorführraum des Metropolis-Kinos in Hamburg. Hier spult die Filmvorführerin Suse gerade einen 35mm-Film zurück. Schönes analoges Kino!