Leider war es mir nicht möglich, vor Freitagabend
anzureisen, so wurden es nur sieben Filme + vier Kurzfilme (drei bei den Sunday
Shorts), die ich ansehen konnte. Bunt gemischt war meine Auswahl, wie auch das
toll kuratierte Programm in Oldenburg stets bunt gemischt und international
ausgerichtet ist, sich indes niemals dem Mainstream anbiedert. Das jedoch
bedeutet keineswegs, dass die gezeigten Filme schwer zugänglich wären, einige
mögen es sein (wie im Programm nahezu aller Filmfestivals), aber auch für
Gelegenheitskinobesucher lässt sich so manche Perle des Arthouse- oder
Independent-Kinos entdecken. Die insgesamt 15.500 Besucher in den
Festivalkinos, der Kongresshalle der Weser Ems Hallen, dem Oldenburgischen
Staatstheater und den weltweit einzigartigen JVA-Vorführungen verdeutlichen,
dass das Konzept aufgeht. Zahlreiche internationale Premieren, Deutschland- und
auch Weltpremieren unterstreichen die Bedeutung, die das Internationale Filmfest Oldenburg in
den 25 Jahren seines Bestehens erlangt hat. Und es werden dort einfach starke
Filme gezeigt!
Mein
persönliches Programm
(Beim Klick auf die Filmtitel gelangt man zu weiteren
Infos auf der Webseite des Filmfests.)
Mein Einstieg am späten Freitagabend in der von mir
leicht favorisierten Reihe Midnite Xpress war Genre made in Germany, leider
immer noch viel zu selten im Deutschen Kino; in diesem Fall, LUZ von
Tilman Singer, jedoch durchaus gelungen, wenngleich viele Fragen offen bleiben,
was aber nicht unbedingt ein Manko sein muss. LUZ ist Singers Abschlussfilm an der KHM Köln und ein recht
unblutiger Horrorfilm zwischen Hypnose, Trance, Drogen- und Alkoholrausch,
Vergangenheit und Gegenwart und Luzifer als Taxifahrerin.
TEMPORARY DIFFICULTIES von
Mikhail Raskhodnikov (Russland 2018) bildete meinen Start in den Kino-Samstag.
Die (wahre) Geschichte des russischen Unternehmensberaters Sasha Korolev, der
aufgrund von Sauerstoffmangels während der Geburt mit einer Behinderung zur
Welt kommt und von seinem Vater immer wieder zu Leistung und Selbstständigkeit
getrieben wird. Großartige Darsteller, eine bewegende Story und gleichzeitig
ein Porträt Russlands, das sich müht, sich von der Last der sozialistischen
Vergangenheit zu befreien, TEMPORARY
DIFFICULTIES hat nicht nur mir außerordentlich gut gefallen.
Das Drama konnte viele Besucher begeistern und wurde
verdient mit dem German Independence Award ausgezeichnet. Regisseur Mikhail
Raskhodnikov erzählte beim Q&A, er habe eigentlich einen Film über die
Erfolgsgeschichte des Sasha Korolev machen wollen, dann sei aber mehr und mehr
dessen schwierige Kindheit unter einem strengen Vater in den Mittelpunkt
gerückt. Die Anmerkung des Regisseurs, dass doch auch der Vater durch seine
unnachgiebige Erziehung mitverantwortlich für den großen beruflichen Erfolg
Korolevs sei, die er trotz seiner Behinderung habe erringen können, habe dieser
zunächst vehement zurückgewiesen. Dann aber sei ihm bewusst geworden, dass
genau diese Erziehung ihn zu seinen Leistungen befähigt habe. Vater und Sohn
haben sich dann auch wieder versöhnt. Ein Film, der nicht nur die Zuschauer,
sondern offenbar auch den Titelhelden bewegt hat.
O BARCO (THE
BOAT) von Petrus Cariry (Brasilien 2018), mystisch und allegorisch,
bildgewaltig und poetisch – ein Film, der für die große Kinoleinwand geschaffen
ist und dessen Bilder einem in einen fast rauschhaften Zustand den Kinosaal
verlassen lassen. Auch dieser Film gibt wie LUZ Rätsel auf und er setzt sich weiterhin in meinem Kopf fort. Es
ist beeindruckend, was dieses Werk mit einem anstellen kann, wenn man sich denn
darauf einlässt.
ALL SQUARE von
John Hyams (USA 2018), der mit diesem Film beweist, dass er viel mehr als nur
Actionfilme beherrscht. ALL SQUARE erzählt
die Geschichte des Buchmachers John (Michael Kelly), der nach vielen
Pechsträhnen mit Wetten auf Baseballspiele in der Jugendliga Morgenluft
wittert, dann jedoch erkennen muss, dass er damit nicht bei jedem auf Gefallen
stößt.
MANDY, dieser
abgefahrene Action-Horrorthriller von Panos Cosmatos (USA 2018) hat schon jetzt
Kultstatus erreicht. Nicolas Cage spielt den Holzfäller Red Miller, dessen
Lebensgefährtin Mandy von einer ziemlich irren Sekte entführt und später bei
lebendigem Leib vor seinen Augen verbrannt wird. Was anderes als eine blutige
Rache könnte jetzt folgen? Und sie folgt u.a. in Form eines Kettensägen-Duells.
Technisch hat der Film einen stylischen 80er-Look erhalten und auch inhaltlich
fühlt man sich (nicht ungern) in die filmische Vergangenheit zurückversetzt. MANDY war auch Eröffnungsfilm des
diesjährigen Fantasy-Filmfests
und
wird in dessen Rahmen am 24.9. (20.30) nochmals im Savoy Kino Hamburg zu
sehen sein.
FIRST REFORMED von
Paul Schrader (USA 2017). Der anwesende Produzent Frank Murray berichtete dem
Publikum beim Q&A davon, dass sich Schrader und Scorsese einmal darüber
ausgetauscht hätten, mit was für einem Film sie abtreten möchten. Schrader hat
dieses Gespräch offenbar dazu bewogen, mit FIRST
REFORMED einen theologischen und eher leisen und sensibleren Film, der sich
um die Themen Sünde, Glaube, Hoffnung und Verzweiflung dreht, in Angriff zu
nehmen. Ethan Hawke brilliert in der Rolle eines Priesters, der ob des nicht
aufzuhaltenden Endes unseres Planeten durch den Klimawandel seinen Glauben zu
verlieren droht. Ein gekonntes, starkes Spätwerk mit einem offenen Ende, das
Pessimisten (Realisten?) anders interpretieren mögen als Optimisten, die die
Menschheit noch nicht aufgegeben haben.
Frank Murray |
VULTURES
von
Börkur Sigþórsson (Island 2018), ein
spannender Thriller, der das neue Traumland vieler Europäer von einer anderen
sehr düsteren Seite zeigt. Es geht um skrupellose Drogenschmuggler, denen ihre
jungen weiblichen Kuriere nichts wert sind und deren Moral sich allerhöchstens
auf ihre eigenen Gefühle beim Verlust des schon eingeplanten Millionenertrages bezieht.
VULTURES läuft wie MANDY beim Fantasy Filmfest (21.9.,
14.00) im Savoy Kino Hamburg. Sehr empfehlenswert!
Vier
sehr sehenswerte Kurzfilme
JIEJIE
von
Feng-I Fiona Roan (USA/China 2017)
SINGLE PLAYER von
Róbert Odegnál (Ungarn 2017)
THIS MAGNIFICENT CAKE! von
Marc James Roels, Emma de Swaef (Belgien/Frankreich/Niederlande 2018)
UNNATURAL
von
Amy Wang (USA 2017)
Für Filmemacher aus aller Welt, die sich austauschen
möchten, fand in diesem Jahr im Rahmen des Filmfest Oldenburg zum dritten Mal
die Matchbox Coproduction Lounge
statt.
Die eintägige Veranstaltung hat sich zum Ziel gesetzt, Filmemacher und
Branchenvertreter zusammenzubringen und einen Austausch über neue Projekte zu
ermöglichen. Renommierte und aufstrebende Filmemacher stellten dort ihre neuen
Projekte vor.
Jim Stark |
Im Rahmen der Matchbox
Coproduction Lounge fand zudem ein öffentliches Panel über die Produktion
von Low-Budget-Filmen mit dem Produzenten Jim Stark (NIGHT ON EARTH, DOWN BY
LAW) statt, der den Hauptdarsteller seines neuen und in Oldenburg gezeigten
Films ADAM, Magnús
Mariuson, mitgebracht hatte und von den Schwierigkeiten, aber auch Wegen,
Filmproduktionen zu realisieren und in die Öffentlichkeit, beispielsweise auf
Filmfestivals, zu bringen, berichtete. Von öffentlich zugänglichen
Veranstaltungen dieser Art wünschte ich mir während Filmfestivals viel mehr.
Danke ans Filmfest Oldenburg für diese spannende Veranstaltung und das tolle
Filmprogramm!
Magnús Mariuson |
(Regina Nickelsen, Filmteam Colón)