Mittwoch, 19. September 2018

Mein (kleiner) persönlicher Rückblick auf das 25. Internationale Filmfest Oldenburg


Leider war es mir nicht möglich, vor Freitagabend anzureisen, so wurden es nur sieben Filme + vier Kurzfilme (drei bei den Sunday Shorts), die ich ansehen konnte. Bunt gemischt war meine Auswahl, wie auch das toll kuratierte Programm in Oldenburg stets bunt gemischt und international ausgerichtet ist, sich indes niemals dem Mainstream anbiedert. Das jedoch bedeutet keineswegs, dass die gezeigten Filme schwer zugänglich wären, einige mögen es sein (wie im Programm nahezu aller Filmfestivals), aber auch für Gelegenheitskinobesucher lässt sich so manche Perle des Arthouse- oder Independent-Kinos entdecken. Die insgesamt 15.500 Besucher in den Festivalkinos, der Kongresshalle der Weser Ems Hallen, dem Oldenburgischen Staatstheater und den weltweit einzigartigen JVA-Vorführungen verdeutlichen, dass das Konzept aufgeht. Zahlreiche internationale Premieren, Deutschland- und auch Weltpremieren unterstreichen die Bedeutung, die das Internationale Filmfest Oldenburg in den 25 Jahren seines Bestehens erlangt hat. Und es werden dort einfach starke Filme gezeigt!


Mein persönliches Programm

(Beim Klick auf die Filmtitel gelangt man zu weiteren Infos auf der Webseite des Filmfests.)

Mein Einstieg am späten Freitagabend in der von mir leicht favorisierten Reihe Midnite Xpress war Genre made in Germany, leider immer noch viel zu selten im Deutschen Kino; in diesem Fall, LUZ von Tilman Singer, jedoch durchaus gelungen, wenngleich viele Fragen offen bleiben, was aber nicht unbedingt ein Manko sein muss. LUZ ist Singers Abschlussfilm an der KHM Köln und ein recht unblutiger Horrorfilm zwischen Hypnose, Trance, Drogen- und Alkoholrausch, Vergangenheit und Gegenwart und Luzifer als Taxifahrerin.

TEMPORARY DIFFICULTIES von Mikhail Raskhodnikov (Russland 2018) bildete meinen Start in den Kino-Samstag. Die (wahre) Geschichte des russischen Unternehmensberaters Sasha Korolev, der aufgrund von Sauerstoffmangels während der Geburt mit einer Behinderung zur Welt kommt und von seinem Vater immer wieder zu Leistung und Selbstständigkeit getrieben wird. Großartige Darsteller, eine bewegende Story und gleichzeitig ein Porträt Russlands, das sich müht, sich von der Last der sozialistischen Vergangenheit zu befreien, TEMPORARY DIFFICULTIES hat nicht nur mir außerordentlich gut gefallen.

Das Drama konnte viele Besucher begeistern und wurde verdient mit dem German Independence Award ausgezeichnet. Regisseur Mikhail Raskhodnikov erzählte beim Q&A, er habe eigentlich einen Film über die Erfolgsgeschichte des Sasha Korolev machen wollen, dann sei aber mehr und mehr dessen schwierige Kindheit unter einem strengen Vater in den Mittelpunkt gerückt. Die Anmerkung des Regisseurs, dass doch auch der Vater durch seine unnachgiebige Erziehung mitverantwortlich für den großen beruflichen Erfolg Korolevs sei, die er trotz seiner Behinderung habe erringen können, habe dieser zunächst vehement zurückgewiesen. Dann aber sei ihm bewusst geworden, dass genau diese Erziehung ihn zu seinen Leistungen befähigt habe. Vater und Sohn haben sich dann auch wieder versöhnt. Ein Film, der nicht nur die Zuschauer, sondern offenbar auch den Titelhelden bewegt hat.   

O BARCO  (THE BOAT) von Petrus Cariry (Brasilien 2018), mystisch und allegorisch, bildgewaltig und poetisch – ein Film, der für die große Kinoleinwand geschaffen ist und dessen Bilder einem in einen fast rauschhaften Zustand den Kinosaal verlassen lassen. Auch dieser Film gibt wie LUZ Rätsel auf und er setzt sich weiterhin in meinem Kopf fort. Es ist beeindruckend, was dieses Werk mit einem anstellen kann, wenn man sich denn darauf einlässt.

ALL SQUARE von John Hyams (USA 2018), der mit diesem Film beweist, dass er viel mehr als nur Actionfilme beherrscht. ALL SQUARE erzählt die Geschichte des Buchmachers John (Michael Kelly), der nach vielen Pechsträhnen mit Wetten auf Baseballspiele in der Jugendliga Morgenluft wittert, dann jedoch erkennen muss, dass er damit nicht bei jedem auf Gefallen stößt.  

MANDY, dieser abgefahrene Action-Horrorthriller von Panos Cosmatos (USA 2018) hat schon jetzt Kultstatus erreicht. Nicolas Cage spielt den Holzfäller Red Miller, dessen Lebensgefährtin Mandy von einer ziemlich irren Sekte entführt und später bei lebendigem Leib vor seinen Augen verbrannt wird. Was anderes als eine blutige Rache könnte jetzt folgen? Und sie folgt u.a. in Form eines Kettensägen-Duells. Technisch hat der Film einen stylischen 80er-Look erhalten und auch inhaltlich fühlt man sich (nicht ungern) in die filmische Vergangenheit zurückversetzt. MANDY war auch Eröffnungsfilm des diesjährigen Fantasy-Filmfests und wird in dessen Rahmen am 24.9. (20.30) nochmals im Savoy Kino Hamburg zu sehen sein.
  
FIRST REFORMED von Paul Schrader (USA 2017). Der anwesende Produzent Frank Murray berichtete dem Publikum beim Q&A davon, dass sich Schrader und Scorsese einmal darüber ausgetauscht hätten, mit was für einem Film sie abtreten möchten. Schrader hat dieses Gespräch offenbar dazu bewogen, mit FIRST REFORMED einen theologischen und eher leisen und sensibleren Film, der sich um die Themen Sünde, Glaube, Hoffnung und Verzweiflung dreht, in Angriff zu nehmen. Ethan Hawke brilliert in der Rolle eines Priesters, der ob des nicht aufzuhaltenden Endes unseres Planeten durch den Klimawandel seinen Glauben zu verlieren droht. Ein gekonntes, starkes Spätwerk mit einem offenen Ende, das Pessimisten (Realisten?) anders interpretieren mögen als Optimisten, die die Menschheit noch nicht aufgegeben haben.

Frank Murray
VULTURES von Börkur Sigþórsson (Island 2018), ein spannender Thriller, der das neue Traumland vieler Europäer von einer anderen sehr düsteren Seite zeigt. Es geht um skrupellose Drogenschmuggler, denen ihre jungen weiblichen Kuriere nichts wert sind und deren Moral sich allerhöchstens auf ihre eigenen Gefühle beim Verlust des schon eingeplanten Millionenertrages bezieht. VULTURES läuft wie MANDY beim Fantasy Filmfest (21.9., 14.00) im Savoy Kino Hamburg. Sehr empfehlenswert!  
Vier sehr sehenswerte Kurzfilme

JIEJIE von Feng-I Fiona Roan (USA/China 2017)

SINGLE PLAYER von Róbert Odegnál (Ungarn 2017)

THIS MAGNIFICENT CAKE! von Marc James Roels, Emma de Swaef (Belgien/Frankreich/Niederlande 2018)

UNNATURAL von Amy Wang (USA 2017)

Für Filmemacher aus aller Welt, die sich austauschen möchten, fand in diesem Jahr im Rahmen des Filmfest Oldenburg zum dritten Mal die Matchbox Coproduction Lounge statt. Die eintägige Veranstaltung hat sich zum Ziel gesetzt, Filmemacher und Branchenvertreter zusammenzubringen und einen Austausch über neue Projekte zu ermöglichen. Renommierte und aufstrebende Filmemacher stellten dort ihre neuen Projekte vor.

Jim Stark
Im Rahmen der Matchbox Coproduction Lounge fand zudem ein öffentliches Panel über die Produktion von Low-Budget-Filmen mit dem Produzenten Jim Stark (NIGHT ON EARTH, DOWN BY LAW) statt, der den Hauptdarsteller seines neuen und in Oldenburg gezeigten Films ADAM, Magnús Mariuson, mitgebracht hatte und von den Schwierigkeiten, aber auch Wegen, Filmproduktionen zu realisieren und in die Öffentlichkeit, beispielsweise auf Filmfestivals, zu bringen, berichtete. Von öffentlich zugänglichen Veranstaltungen dieser Art wünschte ich mir während Filmfestivals viel mehr. Danke ans Filmfest Oldenburg für diese spannende Veranstaltung und das tolle Filmprogramm!

Magnús Mariuson
(Regina Nickelsen, Filmteam Colón)